Ein Händler kann für Angaben einer Verkaufsplattform, der er sich bedient, haften auch wenn nicht er, sondern die Verkaufsplattform diese Angaben eingestellt hat. Das gilt zunächst für wettbewerbsrechtliche Fälle, beispielsweise für Fälle unlauterer Werbung. Beispielsweise haften Amazon-Händler für unrichtige unverbindliche Preisempfehlungen auf Amazon, auch wenn diese die UVP gar nicht eingestellt haben.
Beispiel
Die Beklagte bot auf amazon.de eine Uhr der Marke „Casio“ zu 19,90 Euro an. Über der Preisangabe war der Hinweis angebracht
„Unverb. Preisempf.“ und dahinter die durchgestrichene Angabe „39,90 Euro“.
Die Angabe war falsch. Tatsächlich handelte es sich um ein Auslaufmodell. Im Zeitpunkt des Angebots bestand diese Herstellerpreisempfehlung nicht mehr. Die beanstandete Preisempfehlung hatte Amazon eingestellt. Hierfür haftete dennoch der Händler. Denn die Zurechnung der Gefahr, in dieser Konstellation für falsche Angaben Dritter (d. h. Amazon) zu haften, ist gleichsam die Kehrseite der von den Händlern in Anspruch genommenen Vorteile einer „internetbasierten, allgemein zugänglichen und eine weitge-hende Preistransparenz vermittelnden Verkaufsplattform“ (BGH v. 3.3.2016 - I ZR 110/15 - Herstellerpreisempfehlung bei Amazon).
Haftung für Markenrechtsverletzungen
Ein Onlinehändler, der auf einer Verkaufsplattform anbietet, kann auch für Rechtsverletzungen haften, die dadurch entstehen, dass ein anderer Händler das Angebot ändert. Das Gleiche gilt, wenn dies der Betreiber der Verkaufsplattform, beispielswiese Amazon, tut.
Beispiel
Der Beklagte bot auf dem Amazon-Marketplace eine „Finger Maus“ für Notebooks an. Ursprünglich enthielt die Angebotsseite die Herstellerbe-zeichnung „Oramics“. Später wurde das Angebot geändert in:
„Trifoo [...] Finger Maus [...]“
Die Klägerin wurde erst nach der Angebotseinstellung Inhaberin der Marke „TRIFOO“. Das Angebot war dennoch eine Verletzung der Marke „Trifoo“. Der Beklagte haftet als „Störer“. Denn das Einstellen auf Amazon ist ein „gefahrerhöhendes Verhalten“: Wer auf dem Marketplace anbiete, muss ständig damit rechnen, dass die Angebotsseite verändert wird und er dadurch fremde Rechte verletzt werden. Ein Marketplace-Händler muss daher „ein bei Amazon Marketplace eingestelltes Angebot regelmäßig darauf [...] überprüfen, ob rechtsverletzende Änderungen vorgenommen worden sind“ (BGH v. 3.3.2016 – I ZR 140/14 – Angebotsmanipulation bei Amazon).
Haftung für Urheberrechtsverstöße, z.B. Produktbilder
Ob diese Grundsätze auch für Urheberrechtsverletzungen auf Verkaufsplattformen gelten, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt. Dies betrifft beispielsweise Fälle, in denen ein Händler lediglich einen Datenfeed an die Verkaufsplattform überträgt, der zahlreiche formatierte Produktattribute enthält (Hersteller-EAN, Artikel-Nummer, Produktkategorie, Größe, Farbe, etc.) Wenn erst bei der Verkaufsplattform (z.B. Zalando) der Datenfeed mit einem Produktbild des Angebots zusammengeführt wird und dieses, von der Plattform bereitgestellte Produktbild fremde Urheberrechte verletzt, ist unklar, ob auch der Händler hierfür haftet. Denn in urheberrechtlichen Fällen kommt es an sich darauf an, in wessen Zugriffssphäre sich das Lichtbild befindet. Die Veröffentlichung eines Lichtbilds im Internet ist ein öffentliches Zugänglichmachen im Sinne des § 19a UrhG. Eine Verletzung dieses Rechts nach § 19a UrhG erfordert, dass Dritten der Zugriff auf ein urheberrechtlich geschütztes Werk eröffnet wird, das sich in der Zugriffssphäre des Vorhaltenden befindet (BGH v. 9.7.2015 – I ZR 46/12 - Die Realität II). Es kommt dabei darauf an, ob der Händler einen Einfluss darauf hat, dass die Bilder auf der Verkaufsplattform der Öffentlichkeit zugänglich bleiben oder nicht (BGH v. 29.4.2010 – I ZR 39/08 – Session-ID). Das OLG München meinte jdenefalls, dass ein Online-Händler nicht haftet, wenn er keinen Einfluss darauf hat, dass die Bilder auf der Verkaufsplattform (Amazon) veröffentlicht bleiben oder nicht (OLG München v. 10.03.2016 – 29 U 4077/159).
OLG Köln Urteil vom 3.2.2023 - 6 U 137/22 - Kunstmaschinen
Nach Ansicht des Landgerichts Köln sind die vom Bundesgerichtshof für das Markenrecht aufgestellten Grundsätze (siehe oben) jedoch auch auf das Urheberrecht übertragbar (LG Köln v. 22.8.2022 – 14 O 327/21 – Haftung beim „Anhängen“ an Amazon-Angebote).
Der Fall: Die Beklagte ist eine Online-Händlerin für gebrauchte Medien. Sie nutzt hierfür auch das Verkaufsportal amazon.de. Dort verkauft die Beklagte täglich ca. 22.000 Artikel und 7,6 Millionen Artikel jährlich. Etwa 4,65 Millionen ihrer Artikel sind ständig im Angebot bei amazon.de. Die Klägerin ist Fotografin und hat zusammen mit ihrem Lebenspartner den Bildband „Kunstmaschinen: S.“ herausgegeben. Diesen Bildband bot die Beklagte bei amazon.de an, indem sie sich an ein bereits bestehendes Angebot angehängt hatte. Auf der entsprechenden Produktdetailseite auf amazon.de waren Produktfotos des Bildbands wiedergegeben. Diese Produktfotos hatte die Klägerin erstellt. Nutzungsrechte an den Produktbildern hatte die Klägerin weder Amazon (z.B. durch Ersteinstellung des Artikels), noch der Beklagten gewährt.
Das Landgericht Köln hatte die vom Bundesgerichtshof für wettbewerbsrechtliche und markenrechtliche Fälle entwickelten Grundsätze (siehe oben) auf das Urheberrecht übertragen, es sei von einem „Gleichlauf auch im Urheberrecht auszugehen“, so das LG Köln.
Das Oberlandesgericht Köln setzte sich in der Berufungsinstanz genauer mit den Voraussetzungen einer Verletzung des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung nach § 19a UrhG auseinander. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss sich das urheberrechtlich geschützte Werk in der Zugriffssphäre des Vorhaltenden befinden muss, um eine Handlung nach § 19a UrhG anzunehmen (vgl. nur BGH a.a.O. - Die Realität II). Dieser „Vorhaltende“ ist aber allein der Inhaber der fremden Internetseite. Denn nur dieser entscheidet darüber, ob das auf seiner Internetseite bereitgehaltene Werk für die Öffentlichkeit zugänglich bleibt. In dem zu entscheidenden Fall war dies Amazon und nicht die Beklagte. Mit der Begründung des Landgerichts konnte das Oberlandesgericht eine Urheberrechtsverletzung in Form eines unberechtigten öffentlichen Zugänglichmachens nach § 19a UrhG nicht bejahen. Erst wenn das Einstellen des Angebots durch die Beklagte auf amazon.de sich in einem ersten Schritt einer urheberrechtlich relevanten Nutzungsart zuordnen ließe, wäre eine Verletzung von Urheberrechten anzunehmen. Denn nicht das Einstellen des Angebots des Bildbands stand im Streit, sondern nur die Nutzung der Fotografien der Klägerin auf der Produktdetailseite von Amazon.
Der „Trick“ des OLG Köln - Unbenanntes Recht der öffentlichen Wiedergabe
Das OLG Köln konnte die Veröffentlichung der Produktbilder auf amazon.de nicht als ein öffentliches Zugänglichmachen nach § 19a UrhG bewerten, weil die Beklagte nicht darüber entscheiden konnte, ob die Produktbilder für die Öffentlichkeit zugänglich bleiben oder nicht. Das konnte allein Amazon. Auch ein anderes in § 15 Abs. 2 UrhG ausdrücklich benanntes Recht der öffentlichen Wiedergabe (Vortrags- und Aufführungsrecht, Senderecht, Recht der Wiedergabe durch Bild- oder Tonträger, Recht der Wiedergabe von Funksendungen) war nicht einschlägig. Das OLG Köln hatte dennoch eine rechtsverletzende Handlung der beklagten Onlinehändlering angenommen. Es behalf sich mit einem in § 15 Abs. 2 UrhG nicht genannten Recht der öffentlichen Wiedergabe. § 15 Abs. 2 UrhG nennt die einzelnen Wiedergaberechte des Urhebers nur beispielhaft. Diese Vorschrift sei nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG (InfoSoc-RL) auszulegen, meinte das OLG Köln. Nach Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie steht den Urhebern das ausschließliche Recht zu, die öffentliche Wiedergabe ihrer Werke ort- und zeitunabhängig zu erlauben oder zu verbieten. Ein solcher Fall liege hier vor.
Das OLG Köln hat somit in § 15 Abs. 2 UrhG ein dort nicht ausdrücklich genanntes Recht der öffentlichen Wiedergabe eingefügt. Eine solche öffentliche Wiedergabe liege im Fall darin, dass die Beklagte durch das Einstellen des Angebots des Buchs „Kunstmaschinen“ auf amazon.de unter der bereits bestehenden ASIN eine Verknüpfung der Produktfotos der Klägerin mit dem von ihr angebotenen Produkt bewirkt hat. Das Einstellen des Angebots durch die Beklagte, das infolge der Nutzung einer ASIN eine automatischen Verlinkung mit den Bildern der Klägerin bewirkte, sei eine solche in § 15 Abs. 2 UrhG nicht ausdrücklich genannte Wiedergabe. Denn hierdurch würde ein neues Produkt eingestellt, das wiederum Nutzer von amazon.de dazu animieren sollte, sich die Produktseite und damit zugleich die zugehörigen Fotografien anzusehen. Genau mit einer solchen Bebilderung rechnete die Beklagte, weil dies gerade die allgemein bekannte Funktionsweise von Amazon sei. Auf die konkrete Kenntnis von den einzelnen zugänglich gemachten Bildern komme es - anders als im Rahmen von § 19a UrhG - nicht an. Denn nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs genügt es für eine Handlung der Wiedergabe, dass der Nutzer Dritten wissentlich und willentlich ermöglicht, auf urheberrechtlich geschützte Werke zuzugreifen, so das OLG Köln.
Prüfpflicht des Amazon-Händlers alle zwei Wochen
Nach der Rechtsprechung des BGH muss ein Amazon-Händler ein bei Amazon Marketplace eingestelltes Angebot öfter als einmal alle zwei Wochen auf Rechtsverletzungen hin überprüfen (BGH v. 3.3.2016 - I ZR 140/14 - Angebotsmanipulation bei Amazon, Rz. 30). Auch die Beklagte habe überprüfen müssen, welche Lichtbilder mit der ASIN verlinkt waren, um sich zu vergewissern, ob ihr eine Nutzung derselben erlaubt ist, um einer urheberrechtlichen Haftung zu entgehen. Dies sei ihr auch grundsätzlich möglich, da jeder Internetnutzer (also auch Mitarbeiter der Beklagten) in der Lage sei, durch Eingabe einer URL, die die ASIN des Produkts enthält, die hinterlegten Produktinformationen einzusehen.
Das Urteil des OLG Köln steht im Widerspruch zu dem Urteil des OLG München in einem ähnlichen Fall. In diesem hatte das OLG München ein öffentliches Zugänglichmachen des Amazon-Händlers und damit eine Urheberrechtsverletzung verneint (OLG München v. 10.03.2016 – 29 U 4077/159). Das OLG Köln hat daher eine Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.