Besonders gerne unterschätzt wird vom Abgemahnten dabei der Umfang seiner Unterlassungsverpflichtung: Die Rechtsprechung dehnt seine Unterlassungsverpflichtung fast immer über den konkreten Fall hinaus auf „im Kern" vergleichbare Handlungen aus. Das gilt sogar dann, wenn in der Unterlassungserklärung auf die konkrete Verletzungsform Bezug genommen wurde. Auch ein klarer und eindeutiger Wortlaut einer strafbewehrten Unterlassungserklärung bildet keine Grenze für eine Auslegung, wonach auch im Kern gleichartige Verstöße umfasst sein sollen. Denn der Zweck eines Unterlassungsvertrags spricht meistens dafür, dass die Vertragsparteien durch ihn auch im Kern gleichartige Verletzungsformen erfassen wollten (BGH v. 10.09.2020 - I ZR 237/19 - Zurückweisung der zugelassenen Revision mangels Entscheidungserheblichkeit).
Beispiele für "kerngleiche Verstöße" gegen eine strafbewehrte Unterlassungserklärung
Nach der Rechtsprechung umfasst eine einmal abgegebene Unterlassungsverpflichtung nicht nur die ursprünglich beanstandete Handlung. Sie geht vielmehr viel weiter. Erfasst werden alle „im Kern gleichartigen“ Verstöße. Das sind all diejenigen Verstöße, die das charakteristische der ursprünglichen Verletzungshandlung beinhalten. Als Faustformel kann man sagen: Alle Handlungen, die den Unwert der ursprünglichen Handlung umfassen, gehören zum „Kernbereich“. Das führt immer wieder zu unliebsamen Überraschungen beim Unterlassungsschuldner.
Beispiel 1 (OLG Köln, Urteil vom 24.05.2017 - 6 U 161/16 - Zauberwaschmittel):
Die abgemahnte Unterlassungsschuldnerin vertrieb ein „Zauberwaschmittel“, das angeblich Waschmittel spare. Sie gibt eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, wonach sie sich verpflichtet,
es […] zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr für „Zauberwaschkugeln für Waschmaschine und Geschirrspüler“ wie folgt zu werben:
„Spart Waschmittel“
Auf der Website der Unterlassungsschuldnerin war eine Kundenbewertung zu lesen:
„Funktioniert wirklich! Durch das aufgebaute Magnetfeld verändert sich die Struktur des Wassers und es lagert sich weniger Kalk in der Wäsche, am Geschirr und der Waschmaschine, Spülmaschine ab! Dadurch benötigt man auch eine geringere Waschmittelmenge und man spart Geld!“
Die Unterlassungsschuldnerin wurde zur Zahlung einer Vertragsstrafe verurteilt. Die Begründung: Auch eingestellte Kundenbewertungen seien Werbung und vom Kernbereich der Unterlassungserklärung umfasst.
Beispiel 2 (nach OLG Köln, Urteil vom 10.06.2016 - 6 U 143/15 - Weiterempfehlungsfunktion):
Der abgemahnte Unterlassungsschuldner hatte auf dem Amazon-Marketplace Sonnenschirme angeboten, und dabei eine Weiterempfehlungsfunktion im eigenen Onlineshop benutzt, aufgrund derer Werbeemails versandt werden. Nach seiner Unterlassungserklärung verpflichtete er sich, es
„… zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr beim Vertrieb von Sonnenschirmen, im Internet zu Zwecken des Wettbewerbs,
Waren und/oder Dienstleistungen mittels der Zurverfügungstellung einer Weiterempfehlungsfunktion zu bewerben, wenn wie auf der Plattform www. …. .de [es folgte die Internetadresse des eigenen Onlineshops des Abgemahnten] geschehen"
Der Abgemahnte nutzte danach eine entsprechende Weiterempfehlungsfunktion auf dem Amazon-Marketplace. Dies war kein kerngleicher Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung. Denn zwischen den Weiterempfehlungsfunktionen in dem eigenen Onlineshop und der Weiterempfehlungsfunktion auf dem Amazon-Marketplace gab es erhebliche Unterschiede.
Beispiel 3 (nach OLG Frankfurt, Beschluss vom 23.9.2021 - 6 W 76/21 - Bullshit):
Der Unterlassungsschuldnerin, einer Influencerin, wurde es verboten, auf ihrem Internetaccount ein Produkt mit "Bullshit" zu bezeichnen. Eine Wiederholung, indem sie das Wort "Bullshit" durch Auslassung bestimmter Buchstaben als "B********t" oder "Noch mehr B***" darstellte, war im Kernbereich des Verbots.
Umfang des "Kernbereichs" der Unterlassungsverpflichtung
Eine einmal abgegebene Unterlassungsverpflichtung umfasst also nicht nur die ursprünglich beanstandete Handlung. Sie geht vielmehr viel weiter. Vom "Kernbereich" umfasst sind all diejenigen Verstöße, die das charakteristische der ursprünglichen Verletzungshandlung beinhalten. Als Faustformel gilt: Alle Handlungen, die den Unwert der ursprünglichen Handlung umfassen, gehören zum „Kernbereich“. Das führt immer wieder zu unliebsamen Überraschungen beim Vertragsstrafeschuldner.
Nicht vom Kernbereich umfasst ist aber eine Vollstreckung eines Unterlassungsurteils für andere Schutzrechte, die nicht im vorangegangenen Erkenntnisverfahren erwähnt wurden. Denn dies wäre eine unzulässige Titelerweiterung (BGH v. 3.4.2014 - I ZB 42/11 - Reichweite des Unterlassungsgebots).
Beispiele: "Im Kern gleichartig" sind die Veröffentlichung in einer Internetzeitung und die Veröffentlichung in der Printausgabe (BGH v. 18.06.2009 - I ZR 47/07 - Eifel-Zeitung), ebenso eine Printwerbung in einer Zeitung und gleichartige Werbung in Onlinemedien (OLG Stuttgart v. 21.08.2008 - 2 U 41/08).
Mehrere Verstöße gegen eine strafbewehrte Unterlassungserklärung
Gewöhnlich fassen die Gerichte in Vertragsstrafeprozessen mehrere ähnliche Verstöße zu einem oder zumindest weniger als den geltend gemachten Verstößen zusammen (z.B. OLG Koblenz Urteil vom 29.08.2012 - 5 U 283/12). In einem Fall (BGH GRUR 2009, 181 - Kinderwärmekissen) konnte der BGH eine Vielzahl von Vertragsstrafen in Höhe von insgesamt € 53.680.000,00 nur noch aus Billigkeitsgründen auf € 200.000,00 reduzieren.