"Vollziehung" der einstweiligen Verfügung
Vollziehung durch eigene Zustellung (Parteizustellung)
Einstweilige Verfügungen müssen innerhalb eines Monats vollzogen werden (§ 936, 929 II ZPO). Bei einstweiligen Verfügungen, die einen Unterlassungsanspruch zum Gegenstand haben, geschieht dies durch Zustellung (siehe unten). Die Frist beginnt
- bei Beschlussverfügung (einstweilige Verfügungen, die ohne mündliche Verhandlung erlassen wurden) mit Zustellung des Beschlusses an den Antragsteller. Mit der Zustellung wird die Beschlussverfügung "vollzogen" und wirksam.
- Bei Urteilsverfügungen (einstweilige Verfügungen, die nach einem Widerspruch nach einer mündliche Verhandlung erlassen wurden) beginnt die Monatsfrist mit der Verkündung des Urteils. Die Zustellung des Urteils durch das Gericht an die Parteien ist noch keine wirksame Vollziehung. Denn einstweilige Verfügungen müssen "im Parteibetrieb" durch den Antragsteller selbst an den Antragsgegner zugestellt werden (hierzu unten). Hier ist es Sache des Antragstellers, bei dem Gericht zügig eine Ausfertigung anzufordern, damit er die Urteilsverfügung an den Antragsgegner (Verfügungsbeklagten) zustellen kann.
Ordnungsgemäße Zustellung der einstweiligen Verfügung?
Eine einstweilige Verfügung muss innerhalb eines Monats zugestellt werden. Die Zustellung einer einstweiligen Verfügung ist Wirksamkeitsvoraussetzung (BGH 10.6.1999 – VII ZR 157/98) und Beginn der Zwangsvollstreckung aus der einstweiligen Verfügung (§ 929 Abs. 2 ZPO). Das bedeutet, dass auch die Ordnungsmittelandrohung (§ 890 ZPO) innerhalb der Monatsfrist zugestellt werden muss. Idealerweise ist diese schon in der einstweiligen Verfügung tenoriert ("unter Androhung von Ordnungsgeld...").
Eine einstweilige Verfügung wird nicht vom Gericht zugestellt. Sie muss vielmehr "im Parteibetrieb" vom Antragsteller selbst förmlich, d.h. durch den Gerichtsvollzieher (§ 192 ZPO), an den Antragsgegner zugestellt werden. Eine Zustellung per E-Mail reicht nicht aus (ist aber u.U. heilbar). Denn die Übermittlung eines eingescannten Schriftstücks per E-Mail stellt lediglich die Übermittlung einer einfachen Kopie dar, die für eine Zustellung nicht ausreicht (OLG Düsseldorf v. 19.09.2017 - _-20 U 3/17; OLG Karlsruhe v. 22.01.2014 – 6 U 118/13; OLG Hamburg v. 30.06.2005 – 3 U 221/04). Die Übersendung einer unbeglaubigten Abschrift reicht zur Vollziehung einer Beschlussverfügung nicht aus, auch nicht über das elektronische Anwaltspostfach (OLG Brandenburg v. 06.04.2021 – 1 U 74/20), denn die Authentizität eines solchen Dokuments ist nicht überprüfbar (OLG Düsseldorf v. 29.05.2018 – 20 U 159/17 mwNw.).
Bei Zustellungen an einen im Ausland ansässigen Verfahrensgegner ist das Formblatt L nach Art. 12 der Verordnung (EU) 2020/1784 erforderlich.
Zustellung der einstweiligen Verfügung an Gegner oder Gegenanwalt?
Liegt eine Prozessvollmacht des gegnerischen Anwalts vor, muss zwingend an den Gegenanwalt zugestellt werden. Das gleiche gilt, wenn sich etwa in einer Schutzschrift für den Antragsgegner ein Rechtanwalt für das Verfahren bestellt hat.
Zustellung der einstweiligen Verfügung ohne Antragsschrift?
Zwar kann nach der Rechtsprechung unter Umständen auf die Zustellung der Antragsschrift verzichtet werden, wenn der Umfang des gerichtlichen Verbots auch ohne Antragsschrift verständlich ist. Das gilt aber nicht, wenn die Wirksamkeit der einstweiligen Verfügung ausdrücklich vom Gericht von der Zustellung der Antragsschrift abhängig gemacht wird (OLG Köln, Urteil v. 14.05.2004 – 6 W 52/04).
Zustellung einer Schwarz-Weiß-Kopie einer vom Gericht farbig erlassenen einstweiligen Verfügung
Auch die Zustellung einer farbig erlassenen aber nur in Schwarz-Weiß zugestellten einstweiligen Verfügung kann unwirksam sein (vgl. OLG Frankfurt v. 02.04.2014 – 11 W 10/14, OLG Hamburg v. 30l.01.2007 – 3 W 239/06). Dies gilt insbesondere bei einstweiligen Verfügungen, in denen der Umfang des Verbots auch durch farbige Abbildungen bestimmt wird, also meistens bei Geschmacksmusterverletzungen und gelegentlich auch bei Markenrechtsverletzungen.
Zustellungsmängel sind u.U. nach §§ 189, 191 ZPO heilbar.
Rechtsmissbräuchliche einstweilige Verfügung
Verschweigen der vorprozessualen Korrespondenz: OLG München, Urteil vom 5.8.2021 - 29 U 6406/20
Wer versucht, sich den Erlass einer einstweiligen Verfügung zu erschleichen, indem er eine Reaktion des Abgemahnten auf die Abmahnung verschweigt, kann rechtsmissbräuchlich handeln (OLG München v. 8.7.2017 - 29 U 1210/17). Das hat das OLG München in einem von uns erstrittenen Urteil bestätigt:
Der Fall: Der Antragsteller einer einstweiligen Verfügung behauptete die Verletzung zweier Marken und mahnte den vermeintlichen Rechtsverletzer ab. Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung reichte er anschließend am 2.4.2020 beim Landgericht München I ein. Das Landgericht erteilte am 6.4.2020 und 9.4.2020 dem Antragsteller Hinweise, auf die dieser mit Schriftsätzen vom 9.4.2020 und 17.4.2020 reagierte. Das Landgericht erließ am 21.4.2020 ohne Anhörung des Antragsgegners die einstweilige Verfügung. durch Beschluss (d.h. ohne mündliche Verhandlung). Zwischenzeitlich hatte der Antragsgegner, vertreten durch uns, am 15.4.2020 auf die Abmahnung reagiert. Diese Reaktion hatte der Antragsteller dem Gericht nicht vorgelegt. Dieses bewusste Vorenthalten der Reaktion des Antragsgegners war rechtsmissbräuchlich. Denn ein Antragsteller in einem einstweiligen Verfügungsverfahren hat wegen des Grundsatzes der prozessualen Waffengleichheit die Pflicht, unaufgefordert und unverzüglich dem Gericht die Schreiben eines Antragsgegners vorzulegen. Verstößt er gegen diese Pflicht, handelt er rechtsmissbräuchlich. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Antragsteller die Reaktion des Antragsgegners für relevant hält oder nicht. Denn dies zu beurteilen, ist Sache des Gerichts (OLG München, Urteil vom 5.8.2021 - 29 U 6406/20). Das Oberlandesgericht München hatte allein aus diesem Grund auf unsere Berufung hin die einstweilige Verfügung aufgehoben und den Verfügungsantrag auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
Verstöße gegen eine einstweilige Verfügung und Zwangsvollstreckung
Ordnungsmittelantrag nach § 890 ZPO
Einstweilige Verfügung sind nach Zustellung an den Gegner sofort vollstreckbar. Die Art und Weise der Zwangsvollstreckung hängt vom Tenor der einstweiligen Verfügung ab. Untersagungsverfügungen, also einstweilige Verfügungen, die eine Unterlassung zum Gegenstand haben, werden mit Ordnungsmittelanträgen vollstreckt. Hierfür muss der Antragsteller der einstweiligen Verfügung bei dem Prozessgericht einen Ordnungsmittelantrag nach § 890 ZPO einreichen. Liegt ein Verstoß gegen die einstweilige Verfügung vor, verhängt das Gericht gegen den Antragsgegner ein Ordnungsgeld, z.B. € 10.000,00. Bei weiteren Verstößen kann das Gericht - nach entsprechenden Ordnungsmittelanträgen - weitere Ordnungsgelder verhängen, wobei die Höhe der Ordnungsgelder ansteigt. Die Verhängung von Ordnungsgelder dient der Bestrafung des Antragsgegners für den Verstoß gegen die einstweilige Verfügung.
Zwangsgeldantrag nach § 888 ZPO
Wenn Gegenstand der einstweiligen Verfügung eine nicht vertretbare Handlung ist, z.B. eine Auskunft, wird nach § 888 ZPO durch Zwangsgeldanträge vollstreckt. In diesen Fällen verhängt das Gericht auf Antrag des Antragstellers der einstweiligen Verfügung ein oder mehrere Zwangsgelder. Auch diese steigen an. Im Gegensatz zu Ordnungsgelder dienen Zwangsgelder nicht der Bestrafung. Es sind vielmehr reine Beugemittel zur Erzwingung der tenorierten Handlung (z.B. Auskunftserteilung). Nach Vornahme der Handlung werden Zwangsgelder daher (im Gegensatz zu Ordnungsgelder) wieder zurückgezahlt.
Die Abschlusserklärung nach Zustellung einer einstweiligen Verfügung
Die Beendigung des einstweiligen Verfügungsverfahrens
Abschlussschreiben und Abschlusserklärung
Das Abschlussschreiben ist die Aufforderung zur Abgabe einer Abschlusserklärung nach Erlass einer einstweiligen Verfügung. Mit einer Abschlusserklärung wird üblicherweise ein einstweiliges Verfügungsverfahren beendet. Mit der Abschlusserklärung erkennt der Antragsgegner bzw. der Verfügungsbeklagte die einstweilige Verfügung als abschließende Regelung an. Nur durch Abgabe einer Abschlusserklärung geht auch die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr unter (OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.02.1995 - 6 U 250/94). Ein auf das Verfügungsverfahren folgendes Hauptsacheverfahren ist dann nicht mehr möglich. Einer solchen Klage würde das Rechtsschutzbedürfnis fehlen. Eine Abschlusserklärung lässt das Rechtsschutzbedürfnis aber nur dann entfallen, wenn sie dem Inhalt der einstweiligen Verfügung entspricht (BGH GRUR 2005, 692 – „statt“-Preise).
Frist zur Abgabe der Abschlusserklärung
Die von der Rechtsprechung entwickelte Frist zur Abgabe einer Abschlusserklärung beträgt 14 Tage nach dem Zeitpunkt der Zustellung der einstweilgen Verfügung. Nur wenn er diese Frist einhält, kann der Antragsteller von dem Antragsgegner auch die Kosten für das Abschlussschreiben erstattet verlangen (BGH, Urt. v. 22.1.2015 – I ZR 59/14 - Kosten für Abschlussschreiben II).
Muster einer Abschlusserklärung zur Beendigung eines einstweiligen Verfügungsverfahrens
Eine Abschlusserklärung hat üblicherweise den folgenden Inhalt:
Abschlusserklärung
Die Unterzeichner erklären als Geschäftsführer der Firma ... GmbH, ...:
1. Wir erkennen die einstweilige Verfügung des Landgerichts ... vom ... (Az: ... O .......) als zwischen den Parteien materiellrechtlich verbindliche, endgültige Regelung an, die in ihren Wirkungen einem rechtskräftigen Urteil gleichsteht.
2. Wir verzichten auf alle weiteren Rechtsmittel gegen die einstweilige Verfügung, insbesondere der Fristsetzung zur Hauptsacheklage, § 926 ZPO, der Aufhebung wegen veränderter Umstände, § 927 ZPO sowie darauf, die Unrichtigkeit der einstweiligen Verfügung durch Feststellungsklage, negative Feststellungsklage, Inzident-Feststellungsklage oder Einwendung in ei-nem Rechtsstreit geltend zu machen.
Ort, Datum
…………………………………
Für die Firma ....... GmbH
Höhe der Gebühren für ein Abschlussschreiben
Streit gibt es immer wieder über die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren, die der Antragsteller der einstweiligen Verfügung für das Abschlussschreiben erstattet verlangen kann. Der 6. Zivilsenat des BGH geht davon aus, dass grundsätzlich eine Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens des Nr. 2300 RVG VV, nämlich zwischen 0,5 bis 2,5, erstattet verlangt werden kann (BGH Urteil v. 22.03.2011, Ziff. 24 - VI ZR 63/10). Im Streitfall hatte der BGH eine Gebühr in Höhe einer 1,3-Gebühr als angemessen angesehen. Anderer Ansicht ist der für den gewerblichen Rechtsschutz zuständige 1. Zivilsenat: Hier hatte der BGH in dem Urteil vom 4.2.2010 - I ZR 30/08 - Kosten für Abschlussschreiben) - im konkreten Fall ein Abschlussschreiben als "Schreiben einfacher Art" behandelt und nur eine 0,3-Gebühr für erstattungsfähig angesehen.
Autor: Thomas Seifried, Anwalt Markenrecht und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz