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Rechtsmissbräuchliche Abmahnungen im Wettbewerbsrecht
Verbot missbräuchlicher Abmahnungen und überhöhter Vertragsstrafeforderungen
Dass abgemahnt wird, um vorwiegend an den Rechtsanwaltsgebühren zu verdienen - unter Umständen mit einer Gebührenteilungsvereinbarung zwischen Abmahner und dem Abmahnanwalt - kommt immer wieder vor. Eine solche Abmahnung ist im Wettbewerbsrecht (Lauterkeitsrecht) rechtsmissbräuchlich (§ 8c I UWG). Ebenso missbräuchlich ist im Wettbewerbsrecht nach der Rechtsprechung eine Abmahnung in der überwiegenden Absicht, den Abgemahnten zu schädigen oder sonstige „sachfremde Motive“.
§ 8c UWG Fassung
Hauptziel der UWG Reform 2020 war die Eindämmung rechtsmissbräuchlicher Abmahnungen. Die Folgen missbräuchlicher Abmahnungen waren früher in § 8 IV UWG geregelt. Der § 8c UWG erweitert nun die Regelung und nennt in Regelbeispielen auch konkrete Voraussetzungen, unter denen ein missbräuchliches Geltendmachen von Unterlassungsansprüchen vermutet wird. Der Abmahnenden kann diese Vermutungen entkräften. Der Gesetzeswortlaut nimmt hier Umstände auf, die die Rechtsprechung in der Vergangenheit als Indiz für eine rechtsmissbräuchliche Abmahnung angesehen hatte. Ein rechtsmissbräuchliches Geltendmachen wird demnach vermutet, wenn
- die Geltendmachung der Ansprüche vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder von Kosten der Rechtsverfolgung oder die Zahlung einer Vertragsstrafe entstehen zu lassen,
- ein Mitbewerber eine erhebliche Anzahl von Verstößen gegen die gleiche Rechtsvorschrift durch Abmahnungen geltend macht, wenn die Anzahl der geltend gemachten Verstöße außer Verhältnis zum Umfang der eigenen Geschäftstätigkeit steht oder wenn anzunehmen ist, dass der Mitbewerber das wirtschaftliche Risiko seines außergerichtlichen oder gerichtlichen Vorgehens nicht selbst trägt,
- ein Mitbewerber den Gegenstandswert für eine Abmahnung unangemessen hoch ansetzt,
- offensichtlich überhöhte Vertragsstrafen vereinbart oder gefordert werden,
- eine vorgeschlagene Unterlassungsverpflichtung offensichtlich über die abgemahnte Rechtsverletzung hinausgeht,
- mehrere Zuwiderhandlungen, die zusammen hätten abgemahnt werden können, einzeln abgemahnt werden oder
- wegen einer Zuwiderhandlung, für die mehrere Zuwiderhandelnde verantwortlich sind, die Ansprüche gegen die Zuwiderhandelnden ohne sachlichen Grund nicht zusammen geltend gemacht werden.
Nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut des § 8c UWG wird auch dann ein Rechtmissbrauch vermutet, wenn eine "überhöhte" Vertragsstrafe gefordert wird. Nach der Gesetzesbegründung betrifft dies nicht nur die Fälle, in denen bereits in der Abmahnung eine deutlich überhöhte Vertragsstrafe für künftige Verstöße gefordert wird. Ein Rechtsmissbrauch wird auch vermutet, wenn nach Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung nach neuem Hamburger Brauch eine deutlich überhöhte Vertragsstrafe gefordert wird.
Missbrauch wird auch vermutet, wenn eine vorgeschlagene Unterlassungsverpflichtung offensichtlich über die abgemahnte Rechtsverletzung hinausgeht. Eine vergleichbare Regelung ist bereits aus dem Urheberrechtsgesetz bekannt (§ 97a II Nr. 4 UrhG). Künftig werden sich daher die Anforderungen an den Abmahnenden erhöhen: Er muss eine klare Sachverhaltsdarstellung ("abgemahnte Rechtsverletzung") und eine diesbezügliche päzise formulierte, möglichst auf die konkrete Verletzungsform begrenzte, strafbewehrte Unterlassungserklärung formulieren. Wenn eine vorgeschlagene Unterlassungserklärung über den tatsächlichen rechtlichen Anspruch nicht hinausgeht, ist aber kein Hinweis erforderlich (vgl. zu § 97a IV UrhG: OLG Frankfurt a. M. v. 2.12.2014 – 11 U 73/14).
Folgen des Rechtsmissbrauchs und Gegenansprüche
Nicht nur kein Anspruch auf Abmahnkosten, sondern überhaupt kein Anspruch
Ein nach § 8c UWG rechtmissbräuchliches Geltendmachen von Ansprüchen führt nicht nur dazu, dass keine Abmahnkosten zu erstatten sind, sondern auch, dass der geltend gemachte Unterlassungsanspruch selbst nicht besteht (BGH GRUR 2002, 357 - Missbräuchliche Mehrfachabmahnung). Eine anschließende Klage wäre unzulässig. Selbst wenn die Abmahnung also eigentlich berechtigt gewesen wäre, verliert der Abmahner den anschließenden Prozess, wenn ihm nachgewiesen wird, dass er überwiegend (nicht ausschließlich!) aus Gebühreninteressen oder in Schädigungsabsicht abgemahnt hat.
Gegenanspruch des missbräuchlich Abgemahnten: Erstattung der eigenen Rechtsanwaltskosten
Außerdem kann der Empfänger einer mißbräuchlichen Abmahnung im Wettbewerbsrecht von dem Abmahnenden seine eigenen Rechtsanwaltskosten erstattet verlangen, § 8c III UWG.
Beispiel aus der Rechtsprechung zu § 8c UWG n.F.: Landgericht Dortmund, Beschluss v. 16.2.2021, 10 O 10/21
Der Antragsteller nimmt mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung den Antragsgegner wegen fehlender Pflichtangaben gemäß § 5 TMG, fehlender Widerrufsbelehrung und fehlender Information/Verlinkung zur OS-Plattform auf Unterlassung in Anspruch. Der Vorwurf: Er haber als Privatperson auf einer Internetplattform neue Haushaltsartikel angeboten und Pflichtangaben gemäß § 5 TMG, Widerrufsbelehrung und fehlender Information/Verlinkung zur OS-Plattform nicht aufgeführt. Mit Anwaltsschreiben mahnte der Kläger den Beklagten ab. Die Abmahnkosten wurden in diesem Schreiben unter Zugrundelegung eines Streitwertes von 30.000,00 € mit 1.501,19 € beziffert. Zugleich wurde der Antragsgegner zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aufgefordert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wurde zurückzuweisen, da der Geltendmachung des Unterlassungsanspruches § 8c UWG n.F. entgegenstand. Denn mit dem Abmahnschreiben wurden Gebühren geltend gemacht, obwohl dies nach § 14 IV UWG ausgeschlossen war. Nach dieser Norm konnte der Antragsteller keinen Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen, weil es um Verstöße gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten ging.
Indizien für rechtsmissbräuchliche Abmahnung
Ein Rechtsmissbrauch ist für den Abgemahnten oft kaum zu beweisen. Denn der Abgemahnte wird eine Gebührenvereinbarungen zwischen dem Gegner und seinem Rechtsanwalt nicht kennen. Über eine etwaige vereinbarte Gebührenteilung wird er ebenso wenig wissen wie über eine unzulässige erfolgsabhängige Vergütung. Die Rechtsprechung hat aber Indizien entwickelt, die für einen Rechtsmissbrauch sprechen. Dabei sind hier auch Umstände einzubeziehen, die nach der Abmahnung auftreten, und zwar selbst dann wenn ein rechtsmissbräuchliches Verhalten im Zeitpunkt der Abmahnung noch nicht festzustellen ist (BGH, Urt. v. 3.3.2016 – I ZR 110/15 - Herstellerpreisempfehlung bei Amazon).
Beispiele für Rechtsmissbrauch bei Abmahnungen
Indizien, die für eine missbräuchliches Vorgehen des Abmahnenden sprechen, sind nach der Rechtsprechung:
Missverhältnis zwischen Umfang des Geschäftsbetriebs und Anzahl der Abmahnungen
- Viele Abmahnungen bei verhältnismäßig geringem Jahresgewinn, hier: 50 abgemahnte Internethändler und 203 abgemahnte Baumärkte bei einem Jahresgewinn von unter € 6.000 (BGH v. 26.4.2018 - I ZR 248/16 - Abmahnaktion II;
- ebenso LG Hamburg v. 07.02.2017 – 312 O 144/16, hier: 50 Abmahnungen und 14 Verfügungsverfahren bei einem Eigenkapital von € 34,77 und einem Bonitätsindex von 600
Zahlreiche Abmahnungen
Einige Gerichte nehmen schon allein deswegen einen Rechtsmissbrauch an, weil der Abmahner viele Abmahnungen versendet hat (LG Braunschweig GRUR-RR 2008, 214; LG München I 33. Zivilkammer = GRUR-RR 2006, 416 - Media-Märkte).
Anderer Ansicht sind die Kammern für Handelssachen des LG München I (GRUR-RR 2006, 418 - Preissuchmaschine). Auch das OLG Frankfurt am Main ist zurückhaltender: Es nahm auch bei 200 versandten Abmahnungen und Anwaltsgebühren, die den Jahresumsatz des Abmahnenden deutlich übersteigen, noch keinen Rechtsmissbrauch an (OLG Frankfurt, GRUR-RR 2007, 56 - Sprechender Link)
Missbräuchliche Mehrfachverfolgung
Hier gehen entweder mehrere Verletzte, vertreten von demselben Rechtsanwalt, gemeinsam gegen einen Verletzer vor (wie in BGH, Urteil vom 17. 1. 2002 - I ZR 241/99 - Missbräuchliche Mehrfachabmahnung) oder ein Verletzter geht gegen mehrere Verletzer unabhängig voneinander vor und fordert von jedem jeweils die vollen Gebühren, obwohl er diese gebührensparend als Streitgenossenschaft hätte in Anspruch nehmen können (BGH, Urteil vom 17. 11. 2005 - I ZR 300/02 - MEGA SALE).
Unnötige Kostenbelastung des Gegners
Ein weiteres Indiz für ein missbräuchliches Vorgehen ist es, wenn der Abmahnende an der Verfolgung des beanstandeten Wettbewerbsverstoßes kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse haben kann, seine Rechtsverfolgung vielmehr allein dem sachfremden Interesse der Belastung seiner Mitbewerber mit möglichst hohen Kosten dient (BGH v. 26.04.2018 - I ZR 248/16 - Abmahnaktion II).
Verschweigen einer Reaktion des Abgemahnten
Wer versucht, den Erlass einer einstweiligen Verfügung zu erschleichen, indem er eine Reaktion des Abgemahnten auf die Abmahnung verschweigt, kann rechtsmissbräuchlich handeln (OLG München v. 8.7.2017 - 29 U 1210/17)
Rechtsmissbrauch aufgrund des Inhalts der Abmahnung
Auch der Inhalt der Abmahnung und der vorformulierten strafbewehrten Unterlassungserklärung können Indiz für einen Rechtsmissbrauch sein. Beispiele:
- Systematisches Fordern eines pauschalen Schadensersatzes (OLG Hamm, Urteil vom 19.05.2009 - 4 U 23/09 - Rechtsmissbräuchliche Abmahntätigkeit).
- Stark überhöhte Gegenstandswerte bei Verstößen von unterdurchschnittlichem Gewicht (nach Ansicht des OLG Hamm: Informationspflichten im Rahmen der Widerrufsbelehrung werden verletzt, Garantiebedingungen nicht erläutert oder AGB enthalten unzulässige Klauseln, die den Abmahner in der Praxis nicht besonders beeinträchtigen). In solchen Fällen sind „abenteuerlich überhöhte Gegenstandswert[e]", die „nicht einmal ansatzweise gerechtfertigt" sind ein besonders starkes Indiz für einen Rechtsmissbrauch (OLG Hamm, Urteil vom 29.06.2010 - 4 U 24/10 - Missbräuchliches Vorgehen).
- Die Gebühren werden besonders nachdrücklich gefordert. Beispielsweise wird die Klausel über die Gebührenerstattung durch Fettdruck hervorgehoben oder die Gebühren werden mit besonders kurzer Frist gefordert (OLG Hamm, Urteil vom 29.06.2010 - 4 U 24/10 - Missbräuchliches Vorgehen).
- Vertragsstrafe in der strafbewehrten Unterlassungserklärung wird verschuldensunabhängig oder unter Ausschluss der Einrede des Fortsetzungszusammenhangs gefordert (BGH: Urteil vom 15.12.2011 - I ZR 174/10 – Bauheizgeräte)
Missbrauch aufgrund des Prozessverhaltens
Systematisches Verklagen an entfernten Gerichtsständen, zu denen keine der Parteien einen Bezug hat (OLG Hamm, Urteil vom 19.05.2009 - 4 U 23/09 - Rechtsmissbräuchliche Abmahntätigkeit; KG Beschluss vom 25.01.2008 - 5 W 371/07 - Missbräuchliche Gerichtsstandswahl im Lauterkeitsrecht; OLG Brandenburg v. 29.6.2009 – 6 W 100/09, Rn.10). Dadurch sollen die Kosten des Gegners in die Höhe getrieben werden. Oft ist dies auch ein Indiz für eine Massenabmahnung. Denn dadurch wird die Masse der Fälle auf viele Gerichte verteilt, ohne dass man bei einem einzelnen Gericht übermäßig auffällig und damit gerichtsbekannt (OLG Hamm, Urteil vom 29.06.2010 - 4 U 24/10 - Missbräuchliches Vorgehen) wird (vgl. auch LG Braunschweig GRUR-RR 2008, 214).
Missbrauch durch erfolgsabhängige Vergütung oder Verwandtschaft
Unzulässige Gebührenabsprachen zwischen Abmahnendem und seinem Anwalt: Erfolgsabhängige Vergütung des Rechtsanwalts oder Beteiligung des Mandanten an von dem Abgemahnten erhaltenen Gebühren oder Vertragsstrafen (KG Berlin, MMR 2008, 742; KG Berlin BeckRS 2010, 19475). Auch Verwandtschaft zwischen Anwalt und Mandant kann ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch sein (OLG Hamm, Urteil vom 24.3.2009 - 4 U 211/08 - Rechtsmissbräuchliche Abmahnung eines eBay-Shops).
Diese Beispiele sind lediglich Indizien und sie wiegen unterschiedlich schwer. Bei manchen müssen mehrere zusammenkommen um ein Gesamtbild des Rechtsmissbrauchs entstehen zu lassen. Das wird z.B. bei hervorgehobenen Klauseln zur Gebührenerstattung der Fall sein. Andere wiegen so schwer, dass sie alleine einen Rechtsmissbrauch indizieren. Hierzu zählen vor allem unzulässige Gebührenvereinbarungen zwischen dem Abmahnenden und seinem Anwalt.
Rechtsmissbräuchlich abmahnende eBay-Händer
Klassische Fälle des Rechtsmissbrauchs sind eBay-Händler, die außer Ihrem eBay-Konto nichts vorzuweisen haben. Beispiele:
- Ein eBay-Händler unterhält außer seinen eBay-Angeboten keinen eigenen Onlineshop und auch kein Ladengeschäft. Er weist in seinen eBay-Angeboten selbst darauf hin, dass er der Kleinunternehmerregelung des § 19 Abs. 1 UstG unterfällt. Seine eBay-Umsätze vom 01.01. bis zum 14.05.2014 betragen ganze € 1.714,93. Er lässt drei anwaltliche Abmahnungen im Monat versenden, insgesamt mindestens 15 Abmahnungen. Das ist rechtsmissbräuchlich (OLG Düsseldorf v. 24.03.2015, I-20 U 187/14 - Warmwasserland).
- Ein eBay-Händler lässt durch einen Anwalt, der gleichzeitig sein Onkel ist, umfangreich abmahnen, generiert aber nur monatliche Umsätze von maximal € 200,00. Das ist rechtsmissbräuchlich (OLG Hamm, Urteil vom 24.3.2009 - 4 U 211/08 - Rechtsmissbräuchliche Abmahnung eines eBay-Shops).
Schon eine einzige Abmahnung kann Rechtsmissbrauch begründen
Grundsätzlich kann schon das Aussprechen einer einzigen Abmahnung rechtsmissbräuchlich sein (BGH, Urteil vom 15.12.2011 – I ZR 174/10 – Bauheizgeräte; LG Hamburg v. 07.02.2017 – 312 O 144/16).
Strafrechtliche Konsequenzen
Wer missbräuchlich Abmahnkosten geltend macht, kann sich auch wegen eines Betrugs strafbar machen. Wer missbräuchlich abmahnt behauptet nämlich stillschweigend, dass die Abmahnung wettbewersbrechtlich relevant ist und nicht nur der Generierung von Rechtsanwaltsgebühren dient (BGH v. 08.02.2017 - 1 StR 483/16).
Rechtsmissbrauch durch Verschweigen der vorprozessualen Korrespondenz
Beispiel OLG München, Urteil vom 5.8.2021 - 29 U 6406/20

Nicht nur im Wettbewerbsrecht, sondern auch in anderen Rechtsgebieten kann auch das Verschweigen einer vorprozessualen Korrespondenz ein missbräuchliches Verhalten nach § 242 BGB sein. Dies kommt besonders in einstweiligen Verfügungsverfahren vor.
Der Fall: Der Antragsteller einer einstweiligen Verfügung behauptete die Verletzung zweier Marken und mahnte den vermeintlichen Rechtsverletzer ab. Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung reichte er anschließend am 2.4.2020 beim Landgericht München I ein. Das Landgericht erteilte am 6.4.2020 und 9.4.2020 dem Antragsteller Hinweise, auf die dieser mit Schriftsätzen vom 9.4.2020 und 17.4.2020 reagierte. Das Landgericht erließ am 21.4.2020 ohne Anhörung des Antragsgegners die einstweilige Verfügung. durch Beschluss (d.h. ohne mündliche Verhandlung) Zwischenzeitlich hatte der Antragsgegner, vertreten durch uns, am 15.4.2020 auf die Abmahnung reagiert. Diese Reaktion hatte der Antragsteller dem Gericht nicht vorgelegt. Dieses bewusste Vorenthalten der Reaktion des Antragsgegners war rechtsmissbräuchlich. Denn ein Antragsteller in einem einstweiligen Verfügungsverfahren hat wegen des Grundsatzes der prozessualen Waffengleichheit die Pflicht, unaufgefordert und unverzüglich dem Gericht die Schreiben eines Antragsgegners vorzulegen. Verstößt er gegen diese Pflicht, handelt er rechtsmissbräuchlich. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Antragsteller die Reaktion des Antragsgegners für relevant hält oder nicht. Denn dies zu beurteilen, ist Sache des Gerichts (OLG München, Urteil vom 5.8.2021 - 29 U 6406/20). Das Oberlandesgericht München hatte allein aus diesem Grund auf unsere Berufung hin die einstweilige Verfügung aufgehoben und den Verfügungsantrag auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
Rechtsmissbräuchliche Abmahnungen im Markenrecht
Der Missbrauchseinwand gilt zwar auch im Markenrecht beispielsweise in Fällen unzulässiger Rechtsausübung (OLG Stuttgart v. 21.2.2002, 2 U 206/01 – Hot Chili) oder wenn der Markeninhaber die Verletzung selbst provoziert (OLG Frankfurt v. 27.10.2011, 6 U 179/10 – Rechtsmissbräuchliche Geltendmachung einer Markenverletzung bei Amazon). In der Praxis wird ein Rechtsmissbrauch im Markenrecht nur selten angenommen.
Rechtsmissbräuchliche Abmahnungen im Urheberrecht
Im Urheberrecht gibt es den Missbrauchseinwand an sich auch. Ein Rechteinhaber, der im Urheberrecht außergerichtlich seinen Anspruch missbräuchlicher verfolgt, kann aber dennoch gerichtlich seine Ansprüche weiterverfolgen. Nur den Kostenerstattungsanspruch für die außergerichtliche (missbräuchliche) Rechtsverfolung kann er nicht mehr geltend machen (BGH v. 31.5.2012 - I ZR 106/10 - Ferienluxuswohnung).
Eindämmung des Rechtsmissbrauch durch neues Gesetz:
Änderung des UWG durch "Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs"
Durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs wurde das UWG geändert, um rechtsmissbräuchliche Abmahnungen einzudämmen.
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Die strafbewehrte Unterlassungserklärung
Die zu erstattenden Kosten einer Abmahnung
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