Marktverhaltensregel

Gesetzesverstöße, die zugleich Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht sind

Längst nicht jeder Gesetzesverstoß ist auch wettbewerbswidrig

Nicht jeder Verstoß gegen ein Gesetz ist auch zugleich wettbewerbswidrig im Sinne des § 3a UWG (§ 4 Nr. 11 UWG a.F.). § 3a UWG fordert einen Verstoß gegen eine sogenannte "Marktverhaltensregel": Es muss ein wettbewerbsrechtlich relevantes Gesetz sein, gegen das verstoßen wurde.

Marktverhaltensregeln i.S.d. § 3a UWG

Solche wettbewerbsrechtlich relevante Gesetze nennt man "Marktverhaltensregeln" (BGH v. 31.5.2012, I ZR 45/11 – Missbräuchliche Vertragsstrafe, Rz. 42). Marktverhaltensregeln sind beispielsweise:

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Textilkennzeichnungsverordnung als Marktverhaltensregel

Die Bestimmungen der Textilkennzeichnungsverordnung (TextilkennzVO) sind Marktverhaltensregeln. Es drohen dabei nicht nur Abmahnungen von Mitbewerbern. Auch die aktivlegitmierten Verbände, etwa die Wettbewerbszentrale, können Verstöße ahnden.

Datenschutzrechtliche Vorschriften (TTDSG, BDSG, DSGVO) als Marktverhaltensregeln

Verfolgung durch Mitbewerber

Ob Verstöße gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen zugleich auch Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht und damit abgemahnt und gerichtliche verfolgt werden können, ist - jedenfalls was eine Verfolgung durch Mitbewerber betrifft - umstritten. Eine Übersicht über die Rechtslage:

Verstöße gegen TMG und BDSG

  • §§ 12, 13 TMG sind Marktverhaltensregeln (EuGH v. 29.7.2019 – C-40/17 – Fashion ID; OLG Hamburg Urteil v. 27.6.2013, 3 U 26/12; OLG Köln v. 11.03.2016 - 6 U 121/15 - Fehlende datenschutzrechtliche Hinweispflichten in Kontaktformular);
    Die andere Ansicht des Kammergerichts Berlin (Urteil v. 29.4.2011, 5 W 88/11 – Fehlende Belehrung über die Datennutzung in sozialen Netzwerk) ist angesichts der "Fashion ID"-Entscheidung des EuGH überholt.
  • § 28 III BDSG (OLG Köln v. 17.01.2014 - 6 U 167/13 - Anlegerbrief)
     
  • Die Vorschriften über die Datenverarbeitung zu Werbezwecken (§§ 4, 28 BDSG) halten für wettbewerbsrechtlich relevante Marktverhaltensregeln
    das OLG Karlsruhe (Urteil v. 9.5.2012, 6 U 38/11 – Neuer Versorger; hier wurde die Revision zugelassen)
    das OLG Köln (Urteil v. 14.8.2009, 6 U 70/09 – Rückgewinnungsschreiben)
    das OLG Stuttgart (Urteil v. 22.2.2007, 2 U 132/06 – Werbung mit rechtswidrig erlangten Kundendaten)

Abgelehnt wird die Annahme, Verstöße gegen das BDSG seien zugleich auch unlautere geschäftliche Handlungen von

  • OLG München (Urteil v. 12.1.2012, 29 U 3926/11 – Nutzung von Daten für Werberundschreiben)
  • OLG Frankfurt (Urteil v. 30.6.2005, 6 U 168/04 – Skoda-Autokids-Club)

Verstöße gegen die DSGVO

Ob Verstöße gegen die DSGVO wettbewerbsrechtlich relevant und abmahnfähig ist umstritten. Die überwiegende Rechtsprechung hält derzeit Verstöße gegen die DSGVO für nicht wettbewerbsrechtlich relevant. Die Meinungen:

DSGVO ist wettbewerbsrechtlich nicht relvant:

  • LG Stuttgart v. 20.5.2019 - 35 O 68/18 KfH. Sanktionen der DSGVO seien nach Art. 57 DSGVO Aufgabe der Aufsichtsbehörden. Auch dass der deutsche Gesetzgeber die Ermächtigung nach Art. 80 II DSGVO nicht genutzt hat, die Rechtsbehelfe auch für Mitbewerber vorsieht, spreche gegen diese Ansicht. Ebenso: LG Magdeburg v. 18.2.2019 - 36 O 48/18: LG Wiesbaden v. 5.11.2018 - 5 O 214/18; LG Bochum v. 7.8.2018 - I-12 O 85/18; Stellungnahme der Kommission v. 3.10.2018, E-004117/2018)

DSGVO ist wettbewerbsrechtlich relvant:

  • Verstöße gegen die DSGVO können "im Einzelfall" abmahnfähig sein (OLG Hamburg v. 25.10.2018 - 3 U 66/17; LG Würzburg v. 13.09.2018 - 11 O 1741/18).

Verfolgung durch Verbraucherschutzverbände

Verbraucherschutzverbände hingegen können Verstöße gegen die DSGVO verfolgen (EuGH, Urteil vom 28.04.2022 – C-319/20 - Rn. 67 ff. - Meta Platforms Ireland/Bundesverband). Das Gleiche gilt für Verstöße gegen das TTDSG (LG München I, Urteil vom 29. November 2022 – 33 O14776/19)

Weitere Marktverhaltensregeln nach § 3a UWG

Auch die folgenden Gesetze sind Marktverhaltensregeln. Verstöße gegen diese Gesetze können von Mitbewerbern und den hierzu befugten Verbänden und Kammern verfolgt werden, z.B. mit einer Abmahnung oder dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung.

Besonders häufige Verstöße gegen Marktverhaltensregeln

Besonders häufig werden Verstöße gegen die folgenden Marktverhaltensregeln verfolgt:

  • Vorschriften der Preisangabenverordnung (PangV). So ist beispielsweise ein Verstoß gegen die Pflicht zur Angabe des Grundpreises nach § 4 PAngV zugleich ein Verstoß gegen das Wettbewerbrecht (BGH v. 28.3.2019 - I ZR 85/18 - Kaffeekapseln).
  • Auch ein Verstoß gegen die Pflicht zur Anbieterkennzeichnung, sog. „Impressumspflicht", wird von der Rechtsprechung als unlauter angesehen. Es reicht aber meistens aus, wenn die Anbieterkennzeichnung über einen Link „Kontakt" und einen weiteren Link „Impressum" über insgesamt zwei Links erreichbar ist (BGH, Urteil vom 20.7.2006 - I ZR 228/03 - Anbieterkennzeichnung im Internet). Ein Impressum muss auch angeben, wer seine Produkte über eBay anbietet und dabei eine Software (App) für mobile Endgeräte (z.B. iPhone) benutzt (OLG Hamm NJW-RR 2010, 1481 – iPhone)

Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) als Marktverhaltensregeln

Zahlreiche Vorschriften des BGB sind Marktverhaltensregeln, z.B.

Informationspflichten gegenüber Verbrauchern

  • Pflicht, bei einem Telefonanruf zum Zweck eines Vertragsschlusses seine Identität und den Zweck des Anrufs offenzulegen (BGH v. 19.4.2018 – I ZR 244/16 - Namensangabe)
  • Informationspflichten im Internet, insbesondere §§ 312c, 355 BGB und über das Widerrufsrecht des Verbrauchers, § 312 d) BGB
  • § 312a IV BGB (LG Hamburg v. 01.10.2015 - 327 O 166/15, LG Aschaffenburg v. 13.07.2016 - 1 HK O 66/15)
  • § 270a BGB, Verbot für Entgelte für bargeldlose Zahlungen (LG Berlin v. 21.3.2019 - 52 O 243/18)

Marktverhaltensregeln im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB)

  • die Generalklausel zur AGB-Inhaltskontrolle § 307 BGB (BGH v. 31.5.2012, I ZR 45/11 – Missbräuchliche Vertragsstrafe)
  • die Vorschrift über die Wirksamkeit von Annahme- und Leistungs- und Lieferfristen in AGB, § 308 Nr. 1 BGB (BGH v. 31.5.2012, I ZR 45/11 – Missbräuchliche Vertragsstrafe);
  • die Vorschrift über die Unwirksamkeit von Haftungsaussschlüssen in AGB für die Verletzung von Leben, Körper und Gesundheit, § 309 Nr. 7 a) BGB (BGH v. 31.5.2012, I ZR 45/11 – Missbräuchliche Vertragsstrafe).

Marktverhaltensregeln im Personenbeförderungsgesetz (PBefG)

  • § 47 PBefG (BGH v. 18.10.2012 – I ZR 191/11 – Taxibestellung)
  • § 49 IV 5 PBefG (BGH v. 24.11.2011 – I ZR 154/10 – Mietwagenwerbung)
  • die Rückkehrpflicht des § 49 IV 3, 4 PBefG: Rückkehrpflicht für Mietwagen (BGH v. 30.04.2015 - I ZR 196/13 - Rückkehrpflicht V; BGH v. 13.12.2018 - I ZR 3/16 - Uber Black II)

Strafrechtliche Vorschriften als Marktverhaltensregeln

  • § 263 StGB, Betrug (OLG Düsseldorf v. 15.09.2005 - 13 U 113/05 - Werbebonus); ebenso OLG Frankfurt bei "planmäßigem Vorgehen" (OLG Frankfurt v. 11.05.2006 - 6 U 7/06 - Selbstbehalt)
  • § 284 StGB, Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels (BGH v. 01.04.2004 - I ZR 317/01 - Schöner Wetten)

Verstöße gegen Pflichtangaben zum Engergieverbrauch

  • Normen der Pkw-EnergieverbrauchskennzeichnungsverordnungPkw-EnVKV (BGH GRUR 2010, 852 – Gallardo Spyder)
  • Pflicht zur Energieverbrauchsangabe von Gebäuden nach § 16a Energieeinsparverordnung - EnEV (BGH, Urt. v. 5.10.2017 – I ZR 232/16 - Energieausweis). § 16a EnEV gilt zwar nicht für Immobilienmakler. Wenn Immobilienmakler einen Energieausweis aber nicht angeben, handeln sie dennoch wettbewerbswidrig, weil sie eine wesentliche Angabe i.S.d.  § 5a II UWG nicht angegeben haben (BGH, Urt. v. 5.10.2017 – I ZR 232/16 - Energieausweis).

Verstöße gegen Werbebeschränkungen für Lebensmittel

  • Art. 28 I Unterabs. 1 b) der Verordnung Nr. 834/2007, EG-Öko-Basisverordnung (BGH v. 29.03.2018 - I ZR 243/14 - Bio-Gewürze II)
  • Art. 28 II 2 der Verordnung Nr. 834/2007, EG-Öko-Basisverordnung (EuGH, 12.10.2017 - C-289/16 - Wettbewerbszentrale/Kamin und Grill Shop): Onlinehändler dürfen Bio-Lebensmittel nur mit Zertifizierung verkaufen.
  • Vorschriften der Health-Claims-Verordnung

Normen des Grundgesetzes als Marktverhaltensregeln

Sogar Normen des Grundgesetzes können Marktverhaltensregeln sein. Als solche hat der BGH angesehen

  • das Gebot der Staatsferne der Presse in Art. 5 I 2 GG (BGH v. 20.12.2018 - I ZR 112/17 - Anspruch auf Unterlassung der kostenlosen Verteilung eines kommunalen "Stadtblatts")

Weitere Marktverhaltensregeln sind

  • § 18 RettG NRW (Krankentransporte durch private Unternehmen) ist Marktverhaltensregelung zum Schutz der Kranken (BGH v. 15.1.2009 - I ZR 141/06 - ÜberregionalerKrankentransport)
  • § 6 II WoVermRG (LG Düsseldorf v. 14.07.2010 - 12 O 150/10)
  • das Rückkaufverbot des § 34 IV GewO. Dieses Rückkaufverbot, das auch für verschleierte Pfandleihgeschäfte gilt, gilt nicht nur für Pfandleiher, sondern für jeden (BGH v. 14.9.2009 - I ZR 179/07 - Die clevere Alternative).
  • § 8 Abs. 1a S. 1 AltölV (OLG Celle v. 16.06.2016 - 13 U 26/16 - Versandkostenübernahmepflicht bei Rücksendung von Altöl)
  • Vergleichende nährwertbezogene Angaben nach Art. 8 und 9 der Health Claims Verordnung HCVO, Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 (BGH v. 18.05.2017 - I ZR 100/16 - Märchensuppe)
  • § 22a II S. 1 StVZO, Pflicht zur Kennzeichnung von Fahrzeugteilen mit amtlich vorgeschriebenen und zugeteilten Prüfzeichen (OLG Hamm v. 11.03.2014 - 4 U 127/13 - Soffitte)
  • Art. 9 II EU-VO 260/212- SEPA-Verordnung (OLG Karlsruhe v. 20.04.2018 - 4 U 120/17)
  • § 8 I ZAG, Pflicht zur BaFin-Lizenz bei Zahlungsdienst (LG Köln v. 29.9.2011 - 81 O 91/11)
  • § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG - Verbot von Zuwendungen und Werbegaben in der Arzneimittelwerbung: Die Zugabe sowohl eines Brötchen-Gutscheins als auch eines Ein-Euro-Gutscheins durch einen Apotheker beim Erwerb eines verschreibungspflichtigen Medikaments ist wettbewerbswidrig, weil beide Werbegaben gegen die geltenden Preisbindungsvorschriften verstoßen (BGH v. 6.6.2019 - I ZR 206/17 - 2 Wasserweck oder 1 Ofenkrusti; BGH v. 6.6.2019 - I ZR 60/18 - Ein-Euro-Gutschein ).
  • § 49b II BRAO - Verbot eines Erfolgshonorars (BGH v. 6.6.2019 - I ZR 67/19 - Erfolgshonorar für Versicherungsberater). Das Verbot der Vereinbarung eines Erfolgshonorars gilt nicht nur für Rechtsanwälte, sondern über § 4 RDGEG gilt zum einen für Rentenberaterinnen und Rentenberater (registrierte Personen nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 RDG) und zum anderen für registrierte Erlaubnisinhaber mit Ausnahme der Frachtprüferinnen und Frachtprüfer. Das Verbot gilt damit auch für Versicherungsmakler mit Erlaubnis nach § 34d I GewO (BGH v. 6.6.2019 - I ZR 67/19 - Erfolgshonorar für Versicherungsberater).
  • § 5 II GOÄ nach der Ärzte innerhalb eines Gebührenrahmens die Gebühren unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und des Zeitaufwandes der einzelnen Leistungen sowie der Umstände bei der Ausführung nach billigem Ermessen zu bestimmen haben (LG Düsseldorf v. 16.4.2020 - 34 O 110/19)
  • § 12 FernUSG - LG Berlin v. 15.02.2022 - 102 O 42/21: Wer ohne Zulassung nach dem Fernunterrichtsschutzgesetz Onlinekurse anbietet, bei denen der Lernerfolg überwacht wird, handelt wettbwerbswidrig.
  • Das Erlaubniserfordernis nach § 10 I 1 ZAG für die Erbringung von Zahlungsdienstleistungen (OLG Köln v. 23.12.2022 - 6 U 87/22 - Mobile Payment)

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Keine Marktverhaltensregeln

Nicht wettbewerbsbezogen sind beispielsweise

  • die straßenrechtlichen Bestimmungen über eine Sondernutzungserlaubnis (BGH GRUR 2006, 872 – Kraftfahrzeuganhänger mit Werbeschildern)
  • die Erlaubnispflicht für Arbeitnehmerüberlassung § 1 I 1 AEÜG (BGH, Urt. v. 23.6.2016 – I ZR 71/15 -Arbeitnehmerüberlassung)

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