Ein Rechtsmissbrauch ist für den Abgemahnten oft kaum zu beweisen. Denn der Abgemahnte wird eine Gebührenvereinbarungen zwischen dem Gegner und seinem Rechtsanwalt nicht kennen. Über eine etwaige vereinbarte Gebührenteilung wird er ebenso wenig wissen wie über eine unzulässige erfolgsabhängige Vergütung. Die Rechtsprechung hat aber Indizien entwickelt, die für einen Rechtsmissbrauch sprechen. Dabei sind hier auch Umstände einzubeziehen, die nach der Abmahnung auftreten, und zwar selbst dann wenn ein rechtsmissbräuchliches Verhalten im Zeitpunkt der Abmahnung noch nicht festzustellen ist (BGH, Urt. v. 3.3.2016 – I ZR 110/15 - Herstellerpreisempfehlung bei Amazon).
Beispiele für Rechtsmissbrauch bei Abmahnungen
Indizien, die für eine missbräuchliches Vorgehen des Abmahnenden sprechen, sind nach der Rechtsprechung:
Missverhältnis zwischen Umfang des Geschäftsbetriebs und Anzahl der Abmahnungen
- Viele Abmahnungen bei verhältnismäßig geringem Jahresgewinn, hier: 50 abgemahnte Internethändler und 203 abgemahnte Baumärkte bei einem Jahresgewinn von unter € 6.000 (BGH v. 26.4.2018 - I ZR 248/16 - Abmahnaktion II;
- ebenso LG Hamburg v. 07.02.2017 – 312 O 144/16, hier: 50 Abmahnungen und 14 Verfügungsverfahren bei einem Eigenkapital von € 34,77 und einem Bonitätsindex von 600
Zahlreiche Abmahnungen
Einige Gerichte nehmen schon allein deswegen einen Rechtsmissbrauch an, weil der Abmahner viele Abmahnungen versendet hat (LG Braunschweig GRUR-RR 2008, 214; LG München I 33. Zivilkammer = GRUR-RR 2006, 416 - Media-Märkte).
Anderer Ansicht sind die Kammern für Handelssachen des LG München I (GRUR-RR 2006, 418 - Preissuchmaschine). Auch das OLG Frankfurt am Main ist zurückhaltender: Es nahm auch bei 200 versandten Abmahnungen und Anwaltsgebühren, die den Jahresumsatz des Abmahnenden deutlich übersteigen, noch keinen Rechtsmissbrauch an (OLG Frankfurt, GRUR-RR 2007, 56 - Sprechender Link)
Missbräuchliche Mehrfachverfolgung
Hier gehen entweder mehrere Verletzte, vertreten von demselben Rechtsanwalt, gemeinsam gegen einen Verletzer vor (wie in BGH, Urteil vom 17. 1. 2002 - I ZR 241/99 - Missbräuchliche Mehrfachabmahnung) oder ein Verletzter geht gegen mehrere Verletzer unabhängig voneinander vor und fordert von jedem jeweils die vollen Gebühren, obwohl er diese gebührensparend als Streitgenossenschaft hätte in Anspruch nehmen können (BGH, Urteil vom 17. 11. 2005 - I ZR 300/02 - MEGA SALE).
Unnötige Kostenbelastung des Gegners
Ein weiteres Indiz für ein missbräuchliches Vorgehen ist es, wenn der Abmahnende an der Verfolgung des beanstandeten Wettbewerbsverstoßes kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse haben kann, seine Rechtsverfolgung vielmehr allein dem sachfremden Interesse der Belastung seiner Mitbewerber mit möglichst hohen Kosten dient (BGH v. 26.04.2018 - I ZR 248/16 - Abmahnaktion II).
Verschweigen einer Reaktion des Abgemahnten
Wer versucht, den Erlass einer einstweiligen Verfügung zu erschleichen, indem er eine Reaktion des Abgemahnten auf die Abmahnung verschweigt, kann rechtsmissbräuchlich handeln (OLG München v. 8.7.2017 - 29 U 1210/17)
Rechtsmissbrauch aufgrund des Inhalts der Abmahnung
Auch der Inhalt der Abmahnung und der vorformulierten strafbewehrten Unterlassungserklärung können Indiz für einen Rechtsmissbrauch sein. Beispiele:
- Systematisches Fordern eines pauschalen Schadensersatzes (OLG Hamm, Urteil vom 19.05.2009 - 4 U 23/09 - Rechtsmissbräuchliche Abmahntätigkeit).
- Stark überhöhte Gegenstandswerte bei Verstößen von unterdurchschnittlichem Gewicht (nach Ansicht des OLG Hamm: Informationspflichten im Rahmen der Widerrufsbelehrung werden verletzt, Garantiebedingungen nicht erläutert oder AGB enthalten unzulässige Klauseln, die den Abmahner in der Praxis nicht besonders beeinträchtigen). In solchen Fällen sind „abenteuerlich überhöhte Gegenstandswert[e]", die „nicht einmal ansatzweise gerechtfertigt" sind ein besonders starkes Indiz für einen Rechtsmissbrauch (OLG Hamm, Urteil vom 29.06.2010 - 4 U 24/10 - Missbräuchliches Vorgehen).
- Die Gebühren werden besonders nachdrücklich gefordert. Beispielsweise wird die Klausel über die Gebührenerstattung durch Fettdruck hervorgehoben oder die Gebühren werden mit besonders kurzer Frist gefordert (OLG Hamm, Urteil vom 29.06.2010 - 4 U 24/10 - Missbräuchliches Vorgehen).
- Vertragsstrafe in der strafbewehrten Unterlassungserklärung wird verschuldensunabhängig oder unter Ausschluss der Einrede des Fortsetzungszusammenhangs gefordert (BGH: Urteil vom 15.12.2011 - I ZR 174/10 – Bauheizgeräte)
Missbrauch aufgrund des Prozessverhaltens
Systematisches Verklagen an entfernten Gerichtsständen, zu denen keine der Parteien einen Bezug hat (OLG Hamm, Urteil vom 19.05.2009 - 4 U 23/09 - Rechtsmissbräuchliche Abmahntätigkeit; KG Beschluss vom 25.01.2008 - 5 W 371/07 - Missbräuchliche Gerichtsstandswahl im Lauterkeitsrecht; OLG Brandenburg v. 29.6.2009 – 6 W 100/09, Rn.10). Dadurch sollen die Kosten des Gegners in die Höhe getrieben werden. Oft ist dies auch ein Indiz für eine Massenabmahnung. Denn dadurch wird die Masse der Fälle auf viele Gerichte verteilt, ohne dass man bei einem einzelnen Gericht übermäßig auffällig und damit gerichtsbekannt (OLG Hamm, Urteil vom 29.06.2010 - 4 U 24/10 - Missbräuchliches Vorgehen) wird (vgl. auch LG Braunschweig GRUR-RR 2008, 214).
Missbrauch durch erfolgsabhängige Vergütung oder Verwandtschaft
Unzulässige Gebührenabsprachen zwischen Abmahnendem und seinem Anwalt: Erfolgsabhängige Vergütung des Rechtsanwalts oder Beteiligung des Mandanten an von dem Abgemahnten erhaltenen Gebühren oder Vertragsstrafen (KG Berlin, MMR 2008, 742; KG Berlin BeckRS 2010, 19475). Auch Verwandtschaft zwischen Anwalt und Mandant kann ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch sein (OLG Hamm, Urteil vom 24.3.2009 - 4 U 211/08 - Rechtsmissbräuchliche Abmahnung eines eBay-Shops).
Diese Beispiele sind lediglich Indizien und sie wiegen unterschiedlich schwer. Bei manchen müssen mehrere zusammenkommen um ein Gesamtbild des Rechtsmissbrauchs entstehen zu lassen. Das wird z.B. bei hervorgehobenen Klauseln zur Gebührenerstattung der Fall sein. Andere wiegen so schwer, dass sie alleine einen Rechtsmissbrauch indizieren. Hierzu zählen vor allem unzulässige Gebührenvereinbarungen zwischen dem Abmahnenden und seinem Anwalt.
Schon eine einzige Abmahnung kann Rechtsmissbrauch begründen
Grundsätzlich kann schon das Aussprechen einer einzigen Abmahnung rechtsmissbräuchlich sein (BGH, Urteil vom 15.12.2011 – I ZR 174/10 – Bauheizgeräte; LG Hamburg v. 07.02.2017 – 312 O 144/16).
Strafrechtliche Konsequenzen
Wer missbräuchlich Abmahnkosten geltend macht, kann sich auch wegen eines Betrugs strafbar machen. Wer missbräuchlich abmahnt behauptet nämlich stillschweigend, dass die Abmahnung wettbewersbrechtlich relevant ist und nicht nur der Generierung von Rechtsanwaltsgebühren dient (BGH v. 08.02.2017 - 1 StR 483/16).