Verletzung Designs Geschmacksmuster

Verletzung von Geschmacksmustern und Designs - Voraussetzungen und Konsequenzen

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Inhaltsverzeichnis

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„Schutzrechte und Rechtsschutz in der Mode- und Textilindustrie", 368 Seiten, erschienen 2014 in der dfv-Mediengruppe

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Alles über Abmahnungen und strafbewehrte Unterlassungserklärungen

Verletzung von deutschen Designs und europäischen Gemeinschaftsgeschmacksmustern

Einwand fehlender Neuheit oder Eigenart

Deutsche eingetragene Designs und europäische eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster und nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster sind ungeprüfte Schutzrechte. Die Schutzvoraussetzungen, nämlich Neuheit und Eigenart, werden bei der Anmeldung von den Ämtern nicht geprüft. Es gilt aber eine Rechtsgültigkeitsvermutung. Deshalb ist in gerichtlichen Verfahren wegen Verletzung von Designs und Gemeinschaftsgeschmacksmustern der Einwand fehlender Neuheit und fehlender Eigenart nur in Verfahren über den Erlass einer einstweilgen Verfügung uneingeschränkt möglich. In einem ordentlichen (Hauptsache-)verfahren muss dieser Einwand durch Erhebung einer Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit geltend gemacht werden (§ 52a DesignG, Art. 90 Abs. 2 GGV).

DPMA und EUIPO prüfen Neuheit nicht

Die Schutzvoraussetzungen "Neuheit" und "Eigenart" werden von den Ämtern bei der Anmeldung nicht geprüft. Weder das für die Eintragung des europäischen eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmnuster zuständigen EUIPO, noch das für das deutsche eingetragene Design zuständige DPMA prüfen diese Schutzvoraussetzungen. Das Gemeinschaftsgeschmacksmuster und das eingetragene Design sind also praktisch ungeprüfte Schutzrechte. Ob ein eingetragenes Design oder ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster rechtsbeständig ist, entscheidet sich daher erst in einem gerichtlichen Verletzungsverfahren.

Neuheit nach § 2 Abs. 2 DesignG bzw. Art. 5 GGV

Ob an einem Geschmacksmuster oder Design überhaupt ein Schutzrecht entstanden ist, hängt im Wesentlichen davon ab, ob es im Zeitpunkt der Anmeldung oder – beim nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster im Zeitpunkt der „Offenbarung“ - „neu“ war und „Eigenart“ hatte. "Neuheit" hat ein Muster, wenn vor dem Anmeldezeitpunkt kein anders Muster, dass sich nur in unwesentlichen Einzelheiten unterscheidet, offenbart wurde (§ 2 Abs. 2 DesignG; Art. 5 GGV). Neu ist daher ein Geschmacksmuster oder ein Design, wenn weltweit im Zeitpunkt der Anmeldung (bei den eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmustern oder den eingetragenen Designs) oder der Offenbarung (bei den nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmustern) weder ein identisches Geschmacksmuster, noch ein Muster mit nur unwesentlichen Unterschieden existiert hat. Gleichzeitig führt jedes auch außerhalb der Europäischen Gemeinschaft veröffentlichte identische oder nahezu identische Geschmacksmuster dazu, dass ein Muster nicht mehr als neu gilt.

ACHTUNG: Markteinführungen und Produktpräsentationen – etwa auf Messen - außerhalb der Gemeinschaft können daher die Neuheit des eigenen(!) Musters zerstören. Das Muster ist dann als nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster nicht mehr schutzfähig. Hier hilft in aller Regel nur der Schutz des Musters in dem jeweiligen außergemeinschaftlichen Land der Markteinführung durch Registrierung bei dem jeweils zuständigen Amt.

Neuheitsschädlich können dabei auch Entgegenhaltungen aus einer anderen Erzeugnisart sein. Das OLG Frankfurt meint jedenfalls, Spielplättchen und Spielsteine könnten für Einkaufschips neuheitsschädlich sein. Sie wiesen „nach Herstellung und Verwendungszweck enge Berührungspunkte“ auf und immerhin habe in dem zu entscheidenden Fall die Inhaberin des Gemeinschaftsgeschmacksmusters selbst Spielwaren hergestellt (OLG Frankfurt am Main v. 18.02.2016 – 6 U 245/14 – Nichtigerklärung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters mangels Eigenart).

    "Offenbarung" nach Art. 7 GGV bzw. § 5 DesignG

    "Offenbart" nach Art. 7 GGV bzw. § 5 DesignG ist ein Geschmacksmuster oder Design, wenn es die in der Gemeinschaft tätigen Fachkreise wahrnehmen konnten, etwa wenn es auf einer Messe ausgestellt, in einem Katalog abgebildet oder in der Werbung verwendet wurde. "Offenbart“ heißt also: bekannt gemacht, ausgestellt, verwendet oder sonst veröffentlicht und zwar weltweit. Auch eigene Veröffentlichungen können daher einer späteren Anmeldung des gleichen Musters schaden, weil dann das Muster im Anmeldezeitpunkt nicht mehr neu ist. Auch die Bekanntmachung eines eingetragenes Design im deutschen Geschmacksmusterblatt lässt ein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster entstehen.

    Tipp: Erste Veröffentlichungen eines Musters/Designs, auch unter dem Schutz einer Vertraulichkeitsvereinbarung, sollten wohlüberlegt sein. Denn auch der Verstoß gegen eine Vertraulichkeitsvereinbarung kann dennoch eine Offenbarung zur Folge haben (BGH GRUR 1993, 466 - Reprint-Versendung).

    Ausnahme 1: Neuheitsschonfrist nach § 6 DesignG bzw. Art 7 II GGV

    Wird ein Muster innerhalb von 12 Monaten nach der ersten Offenbarung von dem Designer oder mit dessen Zustimmung angemeldet, schadet dies der Neuheit nicht (sog. "Neuheitsschonfrist", § 6 DesignG; Art. 7 II GGV). Der Entwerfer kann so sein Geschmacksmuster am Markt testen, bevor er sich entscheidet, Kosten für die Anmeldung des Designs oder Geschmacksmusters in die Hand zu nehmen. Bestimmte Vorveröffentlichungen schaden also der Neuheit eines Geschmacksmusters oder eines Designs nicht. Eine zwölfmonatige Neuheitsschonfrist wie bei dem eingetragenen Geschmacksmuster/Design gibt es beim nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmackmuster naturgemäß nicht.

    Teil eines Erzeugnisses und Neuheitsschonfrist

    Probleme tauchen auf, wenn das Design nicht alleine, sondern nur als Bestandteil eines Gesamterzeugnisses vorveröffentlicht wurde. Gilt dann die Neuheitsschonfrist auch dann, wenn ein ganzes Erzeugnis (Schuh) vorveröffentlicht wurde, aber nur ein Element hieraus (Schuhsohle) angemeldet wurde?

    Das Beispiel BGH, Beschluss vom 23.02. 2012 – I ZR 68/11 - Milla: Gilt die Neuheitsschonfrist für eine als Geschmacksmuster geschützte Schuhsohle auch dann, wenn diese nur als ganzer Schuh vorveröffentlicht wurde? Der Fall : Die Klägerin war Inhaberin des folgenden Geschmacksmusters (heute: eingetragenes Design) für Schuhsohlen:

    Das Geschmacksmuster wurde am 23.4.2007 angemeldet. Die Beklagte bot später den folgenden Sabot an:

    Die Verfügungsbeklagte verteidigte sich mit der Vorlage der folgenden älteren Registereintragungen für ganze Schuhe:

    Diese Geschmacksmuster waren bereits am 12.9.2006 von der Klägerin angemeldet worden. Die Beklagte meinte daher, das am 23.4.2007 eingetragene Klagegeschmacksmuster für eine Schuhsohle sei zum Anmeldezeitpunkt nicht mehr neu gewesen. Denn die Schuhsohle sei mit den zuvor von der Klägerin angemeldeten ganzen Schuhen bereits bekannt gewesen. Diese Vorbekanntheit konnte der Klägerin nur dann nicht schaden, wenn für diese ganzen Schuhe die zwölfmonatige Neuheitsschonfrist galt. Danach schadet ein bereits bekanntes Muster der Neuheit nicht, wenn dieses während der zwölf Monate vor dem Anmeldetag durch den Entwerfer oder eines von diesem informierten Dritten veröffentlicht wurde.

    Die Frage war also: Gilt die Neuheitsschonfrist auch dann, wenn das Muster nicht alleine (hier: Schuhsohle), sondern nur als Teil eines Gesamterzeugnisses (hier: ein ganzer Schuh) veröffentlicht wurde?

    Der BGH hat die Frage bejaht: Ein Muster im geschmackmusterrechtlichen Sinn ist nach dem Gesetz (§ 6 GeschmMG) auch ein Teil eines Erzeugnisses. Dann ist es konsequent, die Neuheitsschonfrist auch auf diejenigen vorveröffentlichten Erzeugnisse zu erstrecken, die erkennbar das Muster als Teil enthielten.

    Ausnahme 2: „Fachkreise“ konnten das Muster nicht kennen - BGH "Gartenpavillon"

    Ein offenbartes Muster ist auch dann nicht neu, wenn es die „in der Gemeinschaft tätigen Fachkreise“ in dem betreffenden Wirtschaftszweig das vergleichbare ältere Muster, im normalen Geschäftsverlauf nicht kennen konnten: Dass die Fachkreise von dem Geschmacksmuster auch tatsächlich erfahren haben, ist nicht erforderlich. Eine Veröffentlichung eines Designs im Ausstellungsraum einer chinesischen Provinzgroßstadt muss daher dem Schutz eines vergleichbaren jüngeren Designs nicht schaden, wenn eine solche Veröffentlichung den in der Europäischen Union tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf nicht bekannt sein konnte (vgl. EuGH v. 13.02.2014 - C-479/12 - H. Gautzsch Großhandel GmbH & Co. KG gegen Münchener Boulevard Möbel Joseph Duna GmbH; BGH v. 16.08.2012 - I ZR 74/10 – Gartenpavillon, Rz. 21).

    Eigenart nach § 2 Abs. 3 DesignG bzw. Art. 6 GGV

    Nach Art. 6 Abs. 1 Nr. 2 GGV (entspricht wörtlich § 2 Abs. 3 DesignG) hat ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes, das heißt jedes andere Design hervorruft, welches der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung zugänglich gemacht worden ist.

    Nur Unterscheidbarkeit, keine Eigentümlichkeit

    Eigenart heißt Unterscheidbarkeit (im Gegensatz zur urheberrechtlichen Schöpfungshöhe oder der früher im Geschmacksmusterrecht verlangten „Gestaltungshöhe“) von anderen Designs aus dem bekannten Formenschatz. "Eigenartig" ist ein Design/Geschmacksmuster, wenn es einen anderen Gesamteindruck hervorruft als ein älteres Design/Geschmacksmuster. Die Unterscheidbarkeit hängt dabei ab von der Gestaltungsfreiheit des Designers in der jeweiligen Erzeugnisart (z.B. in der  „Handtaschen“). Besondere Eigentümlichkeit ist nicht (mehr) Voraussetzung.

    Verhältnis zum Urheberrecht

    Eine besondere „Gestaltungshöhe“ ist aber ausdrücklich nicht mehr nötig (BGH Urteil vom 22.04.2010 - I ZR 89/08 - Verlängerte Limousinen) mehr. Es handelt sich damit im Verhältnis zum Urheberrecht und auch zum früheren deutschen Geschmacksmusterrecht um ein grundsätzlich anderes Recht. Das frühere deutsche Geschmacksmusterrecht forderte „Gestaltungshöhe“, also mehr als gestalterisches Durchschnittskönnen. Das ist überholt. Das deutsche eingetragene Design (früher: Geschmacksmuster) ist kein „kleines Urheberrecht“ mehr. Das selbe gilt für das eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster und das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Es kommt nur noch auf die „Eigenart“, also die Unterscheidbarkeit von anderen Designs an, nicht aber auf irgendeine Eigentümlichkeit oder Eigenart.

    Gestaltungsfreiheit sinkt mit Musterdichte

    Ob ein Muster Eigenart hat, beurteilt sich nach dem DesignG und der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung (GGV) nicht mehr abstrakt, sondern immer anhand eines jeden konkreten einzelnen vorbekannten Geschmacksmusters. Es wird also nicht etwa eine fiktive abstrakte Eigenart des gesamten vorbekannten Formenschatzes konstruiert, mit dem das Muster verglichen wird, sondern es gilt ein Einzelvergleich (BGH v. 19.5.2010 – I ZR 71/08 – Untersetzer, Rz. 14). Die Eigenart ist damit zwar Schutzvoraussetzung. Auf den Schutzumfang eines Geschmacksmusters hat sie aber keinen Einfluss (BGH Untersetzer a.a.O.).

    Die Gestaltungsfreiheit wiederum ist abhängig von der Musterdichte in der betreffenden Erzeugnisklasse. Musterdichte bedeutet: Wieviele Designs gibt es in der Erzeugnisklasse? Es gibt also eine Wechselwirkung: Je höher die Musterdichte, desto weniger muss das Design von anderen Designs unterscheidbar sein.

    Beispiele fehlender Eigenart bei Geschmacksmustern und Designs

    Diese Hose unten im Bild wurde 2015 in das chinesischen Geschmacksmusterregister eingetragen. Sie gibt eine schwarze Hose mit zwei Taschen, einem Bund und zwei Gürtelschlaufen wieder. Weder diese Merkmale, noch die Kombination dieser Merkmal unterscheiden diese Hose von anderen bereits bekannten Hosen. Derartige Hosen ohne besondere Eigenschaften dürften seit vielen Jahrzehnten weltweit existieren.

    Entsprechendes dürfte für diese britische Geschmacksmustereintragung aus dem Jahr 2007 gelten. Sie gibt ein schwarzes ärmelloses Shirt mit V-Ausschnitt wieder. Auch hier ist nichts ersichtlich, was dieses Shirt von anderen Shirts unterscheidet. Auch derartige Shirts dürfte es vor dem Anmeldezeitpunkt längst gegeben haben und daher keine Eigenart aufweisen.

    Womit muss das Muster verglichen werden – Einzelvergleich oder Gesamtvergleich?

    Ein Geschmacksmuster hat Eigenart, wenn sich dessen Gesamteindruck von demjenigen eines anderen Geschmacksmusters unterscheidet (Art. 1 GGV). Es stellt sich daher die Frage, ob sich ein Geschmacksmuster, damit es überhaupt schutzfähig ist, von einem oder mehreren ganz konkreten Mustern unterscheiden muss (Einzelmustervergleich)? Oder muss es sich unterscheiden von einer Kombination verschiedener Merkmale aus älteren Geschmacksmustern unterscheiden (Gesamtmerkmalvergleich).

    Der EuGH sagt: Verglichen wird immer das Geschmacksmuster mit ganz konkreten älteren Mustern, nicht aber mit einer Summe von Merkmalen, die aus älteren Mustern bekannt sind (EuGH v. 19.06.2014, C-345/13 – Karen Millen Fashions gegen Dunnes Stores). Er folgt damit dem BGH. Dieser hatte bereits im Jahr 2010 festgestellt, dass die Frage, ob ein Muster Eigenart hat, nicht abstrakt zu beurteilen ist, sondern immer anhand eines jeden konkreten einzelnen vorbekannten Musters. Es wird also nicht etwa eine fiktive abstrakte Eigenart des gesamten vorbekannten Formenschatzes konstruiert, mit dem das Muster verglichen wird, sondern es gilt ein Einzelvergleich (BGH v. 19.5.2010 – I ZR 71/08 – Untersetzer, Rz. 14).

    Die Eigenart beurteilt der "informierte Benutzer"

    Der „informierter Benutzer“ ist im Geschmacksmusterrecht bzw. Designrecht derjenige, der die Eigenart beurteilt (§ 2 III DesignG bzw. Art. 6 Abs. 1 GGV). Der informierte Benutzer gehört der Personengruppe an, die das eingetragene Design bzw. das eingetragene Gemeinschaftsgeschmackmuster oder das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster in der Praxis benutzt und verschiedene Muster/Design nach ihrem Erscheinungsbild zu beurteilen weiß.

    Der informierte Benutzer blendet schutzunfähige technische Merkmale aus

    „Informiert“ ist der Benutzer, wenn er einerseits in rechtlicher Hinsicht Grundkenntnisse der Voraussetzungen der Schutzfähigkeit besitzt - also z. B. technisch bedingte Merkmale bei einem Vergleich ausblendet -, in tatsächlicher Hinsicht Funktion, Wirkungsweise und Anwendungsbereich des jeweiligen Erzeugnisses kennt. Er hat gewisse allgemeine Kenntnisse von dem Formenschatz hat und schließlich in Bezug auf Urteilsvermögen, Bildung Intellekt, Stil und Geschmack zumindest durchschnittliche Fähigkeiten.

    Informierter Benutzer kann auch ein fünfjähriges Kind sein

    Der informierte Benutzer ist damit zwischen dem Durchschnittsverbraucher ("angesprochene Verkehrskreise") und dem Fachmann anzusiedeln (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 27.03.2008 – 6 U 77/07), BeckRS 2008, 23619). Der informierte Benutzer kann aber auch ein 5- bis 10-jähriges Kind sein oder der Marketingleiter eines Unternehmens (EuG GRUR-RR 2010, 189 - Pepsi „rapper“).

    Geschmacksmusterverletzung abhängig vom Schutzumfang

    Schutz gegenüber allen Mustern, die keinen anderen Gesamteindruck hinterlassen

    Der Schutzumfang eines (europäischen) eingetragenen Gemeinschaftsgeschmackmuster, eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters und (deutschen) eingetragenen Designs bestimmt, ob ein Geschmacksmuster oder Design verletzt wird. Er umfasst nicht nur identische Geschmacksmuster oder Designs. Vom Schutzumfang umfasst ist vielmehr auch jedes ähnliche Muster bzw. Design, das beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck erweckt. Hier gibt es eine Wechselwirkung von Gestaltungsfreiheit und Musterdichte in der relevanten Erzeugnisklasse auf der einen Seite und der Unterscheidbarkeit auf der anderen Seite: Je höher die Musterdichte, desto weniger muss sich das Geschmacksmuster bzw. Design von anderen unterscheiden.

    Zum Schutzumfang bei identischen Grundmustern, die sich aber in den Farben unterscheiden

    Die Nachahmung eines Musters, das allerdings in den Farben abweicht, muss keine Geschmacksmuster- bzw. Designverletzung sein: OLG Frankfurt v. 12.05.2015 – 11 U 104/14 – Schutzbereich eines farbigen Stoffmusters. Das EUIPO verneint regelmäßig allerdings oft einen anderen Gesamteindruck, wenn bloß die Farbe abweicht (z.B. HABM v. 26.2.2009, HABM-BK R 1942/2007-3 – Fernbedienung). Auch die Rechtsprechung hält Farbabweichungen nur dann für beachtlich, wenn es sich um eine ungewöhnliche Farbgestaltung handelt (z.B. LG Düsseldorf v. 13.08.2015 - 14c O 98/13 - Zentrierstifte). Das wird bei einfarbigen Mustern kaum je der Fall sein.

    Schutzumfang eines Designs bzw. Geschmacksmusters

    Schutzumfang und Musterdichte

    Die Musterdichte bestimmt den Schutzumfang eines Designs bzw. Geschmacksmusters. Eine geringe Musterdichte führt zu einem großen Schutzumfang eines Designs bzw. Geschmacksmusters. Umgekehrt führt eine hohe Musterdichte zu einem kleine Schutzumfang. Bei der Bestimmung des Schutzumfangs nach Art. 10 II GGV – ebenso wie bei der Bestimmung der Eigenart nach Art. 6 II GGV – ist der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung seines Geschmacksmusters zu berücksichtigen. Dabei besteht zwischen dem Gestaltungsspielraum des Entwerfers und dem Schutzumfang des Musters eine Wechselwirkung: Eine hohe Musterdichte und damit ein kleiner Gestaltungsspielraum des Entwerfers führt zu einem engen Schutzumfang des Musters Dagegen führt eine geringe Musterdichte und damit ein großer Gestaltungsspielraum des Entwerfers zu einem weiten Schutzumfang des Musters (BGH, Urteil vom 19. 5. 2010 - I ZR 71/08 - Untersetzer). Die Folge: Auch größere Abweichungen werden noch von dem Schutzumfang erfasst, sind also Verletzungen des Designs bzw. Geschmacksmusters. Umgekehrt führt eine große Musterdichte zu einem geringen Schutzumfang, so dass schon geringe Veränderungen zu einem anderen Gesamteindruck führen.

    Schutzumfang und Ausnutzung des Gestaltungsspielraums des Designers

    Der Schutzumfang wird außerdem auch dadurch beeinflusst, inwieweit der Gestalter/Designer den Abstand zum Formenschatz (d.h. zu bereits existierenden Mustern) eingehalten hat (BGH Kinderwagen II).

    Führen andere Farben als bei einem Geschmacksmuster oder eingetragenen Design zu einem anderen Gesamteindruck?

    Eine andere Farbe kann an sich zu einem anderen Gesamteindruck führen. Wenn sich zwei Muster aber lediglich in der Farbe unterscheiden, wird dieser Unterschied von der Rechtsprechung meistens untergewichtet (sog. „Farbverschiebung“, vgl. OLG Düsseldorf v. 21.12.2010 – 20 U 144/10 – Rankenmuster). Andere Farben führen hingegen dann zu einem anderen Gesamteindruck, wenn helle und dunkle Elemente vertauscht werden (vgl. OLG Frankfurt v. 12.05.2015 – 11 U 104/14 – Schutzbereich eines farbigen Stoffmusters)

    Kurz gesagt: Eine bloße Veränderung der Farbe führen nur dann zu einem anderen Gesamteindruck, wenn dadurch die Formen des Musters verändert werden. Das EUIPO verneint regelmäßig einen anderen Gesamteindruck, wenn bloß die Farbe abweicht (z.B. HABM v. 26.2.2009, HABM-BK R 1942/2007-3 – Fernbedienung).

    Buchstaben und Worte in Designs und Gemeinschaftsgeschmacksmustern

    Nur Form, nicht Bedeutung schutzfähig

    Häufig enthalten eingetragene Designs oder eingetragene Gemeinschagftsgeschmacksmuster Buchstaben oder Worte. Die gedankliche Bedeutung von Buchstaben und Worten ist aber nicht vom Design- bzw. Geschmacksmusterschutz umfasst (vgl. BPatG v. 13.02.2014 - 30 W (pat) 701/13 - NOR DER NEY). Es kommt nur auf die Gestaltung der Schrift an. Dieser fehlt meistens jedoch die Neuheit oder die Eigenart.

    Beispiel: T-Shirt mit Aufdruck "POLICE"

    Das inzwischen abgelaufene Geschmacksmuster (heute: eingetragenes Design) aus dem Register des DPMA zeigt in einer abstrahierenden Darstellung ein T-Shirt mit einem Aufdruck. Der Inhalt der Schrift ("Police") ist designrechtlich irrelevant. Denn die gedankliche Bedeutung von Buchstaben und Worten ist nicht vom Design-/Geschmacksmusterschutz umfasst (vgl. BPatG v. 13.02.2014 - 30 W (pat) 701/13 - NOR DER NEY). Es kommt nur auf die Gestaltung der Schrift an.

    Geschützt ist also nicht etwa ein weißes T-Shirt mit schwarzer Aufschrift "Police", sondern ein T-Shirt mit einer gewöhnlichen serifenlosen Schrift. T-Shirts mit Druck in serifenloser Schrift waren im Anmeldezeitpunkt im Jahr 1993 aber längst bekannt. Das Design war daher weder "neu", noch hatte es überhaupt "Eigenart". Tatsächlich geschützt war hier also gar nichts .

    Kein Geschmacksmusterschutz für technisch bedingte Merkmale

    Ist die Gestaltung technisch bedingt...

    Nach Art. 8 I GGV und § 3 I Nr. 1 DesignG ist ein Geschmacksmusterschutz an solchen Erscheinungsmerkmalen ausgeschlossen, die ausschließlich durch deren technische Funktion bedingt sind. Diesen Schutzausschließungsgrund nennt man "Technizität". Damit ein Geschmacksmuster oder Design überhaupt schutzfähig ist, ist also eine gestalterische Leistung nötig.

    ... oder hat das Geschmacksmuster einen "gestalterischen Überschuss"?

    Der EuGH hat in der „Zentrierstifte-Entscheidung“ (EuGH GRUR 2018, 612 – DOCERAM/Ceram) klargestellt, dass es hierbei nicht darauf ankommt, ob dieselbe technische Funktion auch mit alternativen Gestaltungen erreichbar wäre. Denn sonst käme ein geschmacksmusterrechtlicher Schutz in diesen Fällen einem Patentschutz gleich. Ausgeschlossen vom Geschmacksmusterschutz sind nach der Rechtsprechung des EuGH daher alle Gestaltungen, bei denen nach den objektiv maßgeblichen Umständen andere Erwägungen als die Erfüllung der technischen Funktion keine Rolle spielen. Eine schutzausschließende technische Bedingtheit liegt also dann vor, wenn die (technische) Funktionalität der einzige das Geschmacksmuster bestimmende Faktor ist. Dass es daneben möglicherweise noch andere Formen gibt (sog. „gangbare Designalternativen“), mit denen sich dieselbe technische Wirkung erzeugen ließe, ist irrelevant (EuGH GRUR 2018, 612 – DOCERAM/Ceram; ebenso: 3. Beschwerdekammer der Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt (HABM) vom 22.10.2009 (R 690/2007-3 – Häcksler). Ob das Erscheinungsmerkmal eines Erzeugnisses ausschließlich technisch bedingt ist, bestimmt sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch nach den Erwägungen die sich aus Ansprüchen, Beschreibungen und Zeichnungen einer Patentoffenlegungsschrift ergeben (BGH v. 7.10.2020, I ZR 137/19 – Papierspender). Ästhetische Erwägungen sind für die schutzausschließenden technisch bedingten Merkmale irrelevant (BGH v. 9.3.2023 - I ZR 167/21 - Tellerschleifgerät).

    Unsere Erfolge im Designrecht und Geschmacksmusterrecht

    Unsere Erfolge in gerichtlichen Verfahren und in Verfahren vor den Ämtern