Verletzung Designs Geschmacksmuster

Verletzung von Geschmacksmustern und Designs - Voraussetzungen und Konsequenzen

Schutzvoraussetzunegn und Konsequenzen der Rechtsverletzung

Zusammenfassung

Ob ein als Design oder Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschütztes Erzeugnis verletzt wird, hängt von mehreren Voraussetzungen ab: Zunächst muss das Design oder Geschmacksmuster selbst schutzfähig sein. Denn diese wird von den Ämtern bei der Anmeldung von Designs und Geschmacksmustern nicht geprüft. Bei der Schutzfähigkeit sind die Neuheit und die Eigenart entscheidend. Hier gibt es zwar eine Rechtsgültigkeitsvermutung. Diese hilft aber nur eingeschränkt. Wenn die Rechtsbeständigkeit des Designs oder Geschmacksmusters feststeht, beginnt die eigentliche Prüfung der Rechtsverletzung. Hier ist der Gesamteindruck entscheidend.

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Alles über Abmahnungen und strafbewehrte Unterlassungserklärungen

Aktivlegitimation im Geschmacksmusterrecht und Designrecht

Wer darf abmahnen und klagen?

Im Geschmacksmuster und Designrecht darf überhaupt nur der Inhaber des Schutzrechts eine Verletzungsklage erheben ode eine Abmahnung wegen Designverletzung aussprechen (vgl. § 31 Abs. 3 S.1 DesignG/Art. 32 Abs. 3 S. 1 GGV). Sowohl ein ausschließlicher, als auch ein einfacher Design- oder Gemeinschaftsgeschmacksmusterlizenznehmer kann nur mit Zustimmung des Rechtsinhabers (Lizenzgebers) ein Verletzungsverfahren anhängig machen. Stimmt der Schutzrechtsinhaber zu, kann der Lizenzgeber selbst nicht mehr klagen, sondern nur noch dem Verfahren beitreten (so jedenfalls OLG Köln v. 4.5.2018 - I-6 U 95/17, 6 U 95/17 - Nachahmung einer Pflanzenschutzhaube).

Nur Rechtsgültigkeitsvermutung

Designs und Geschmacksmuster als ungeprüfte Schutzrechte

Deutsche eingetragene Designs und europäische eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster und nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster sind ungeprüfte Schutzrechte. Die Schutzvoraussetzungen, Neuheit und Eigenart, werden bei der Design- oder Geschmacksmusteranmeldung von den Ämtern nicht geprüft.

DPMA und EUIPO prüfen Schutzvoraussetzungen von Designs und Geschmacksmustern nicht

Die Schutzvoraussetzungen "Neuheit" und "Eigenart" werden von den Ämtern bei der Anmeldung nicht geprüft. Weder das für die Eintragung des europäischen eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters zuständige EUIPO, noch das für das deutsche eingetragene Design zuständige DPMA prüfen diese Schutzvoraussetzungen. Das Gemeinschaftsgeschmacksmuster und das eingetragene Design sind also praktisch ungeprüfte Schutzrechte. Ob ein eingetragenes Design oder ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster rechtsbeständig ist, entscheidet sich daher - je nach Verfahrensart (siehe unten) - erst in einem gerichtlichen Verletzungsverfahren oder in einem Nichtigkeitsverfahren vor dem DPMA oder dem EUIPO.

Gesetzliche Vermutung der Rechtsgültigkeit

Bei eingetragenen Designs und bei eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmustern wird aber gesetzlich vermutet, dass sie neu sind und Eigenart besitzen (§ 39 DesignG, Art. 85 Abs. 1 S. 1 Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung - GGV). Eine entsprechende gesetzliche Vermutung gibt es für das nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Diese ist allerdings eingeschränkt und hängt davon ab, ob dessen Inhaber ausreichend darlegt, dass sein Geschmacksmuster Eigenart hat.

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Fehlende Neuheit oder Eigenart in Designverletzungsverfahren und Geschmacksmusterverletzungsverfahren

Einwand der Schutzunfähigkeit vor DPMA, EUIPO und den Gerichten

Der Einwand, dass ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster oder ein eingetragenes Design tatsächlich bei der Anmeldung nicht neu war, muss entweder mit einem amtlichen Nichtigkeitsantrag vor dem EUIPO oder dem DPMA (§ 52a DesignG, Art. 85 Abs. 1 i.V.m. 91 Abs. 2 GGV) erhoben werden. Das Gleiche gilt für den Einwand, ein eingetragenes Muster habe keine Eigenart, weil es sich im Gesamteindruck nicht von bereits existierenden Mustern unterscheidet.

In gerichtlichen Verfahren Einwand der Schutzunfähigkeit nur eingeschränkt möglich

in einem Prozess kann die fehlende Schutzfähigkeit wegen der Rechtsgültigeitsvermutung nur mit einer gerichtlichen Widerklage geltend gemacht werden. Nur in Verfahren über den Erlass einer einstweilgen Verfügung ist der Einwand fehlender Neuheit und fehlender Eigenart uneingeschränkt möglich (§ 52a DesignG, Art. 90 Abs. 2 GGV). Hier kann der Antragsgegner also schon im Verfügungsverfahren selbst eine fehlende Schutzfähigkeit einwenden.

Neuheit nach § 2 Abs. 2 DesignG bzw. Art. 5 GGV

Entgegenhaltungen bei Designverletzungen und Geschmacksmusterverletzungen

Ob an einem Geschmacksmuster oder Design überhaupt ein Schutzrecht entstanden ist, hängt im Wesentlichen davon ab, ob es im Zeitpunkt der Anmeldung oder – beim nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster im Zeitpunkt der „Offenbarung“ - „neu“ war und „Eigenart“ hatte. "Neuheit" hat ein Muster, wenn vor dem Anmeldezeitpunkt kein anders Muster, dass sich nur in unwesentlichen Einzelheiten unterscheidet, offenbart wurde (§ 2 Abs. 2 DesignG; Art. 5 GGV). Neu ist daher ein Geschmacksmuster oder ein Design, wenn weltweit im Zeitpunkt der Anmeldung (bei den eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmustern oder den eingetragenen Designs) oder der Offenbarung (bei den nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmustern) weder ein identisches Geschmacksmuster, noch ein Muster mit nur unwesentlichen Unterschieden existiert hat. Gleichzeitig führt jedes auch außerhalb der Europäischen Gemeinschaft veröffentlichte identische oder nahezu identische Geschmacksmuster dazu, dass ein Muster nicht mehr als neu gilt.

ACHTUNG: Markteinführungen und Produktpräsentationen – etwa auf Messen - außerhalb der Gemeinschaft können daher die Neuheit des eigenen(!) Musters zerstören. Das Muster ist dann als nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster nicht mehr schutzfähig. Hier hilft in aller Regel nur der Schutz des Musters in dem jeweiligen außergemeinschaftlichen Land der Markteinführung durch Registrierung bei dem jeweils zuständigen Amt.

Neuheitsschädlich können dabei auch Entgegenhaltungen aus einer anderen Erzeugnisart sein. Das OLG Frankfurt meint jedenfalls, Spielplättchen und Spielsteine könnten für Einkaufschips neuheitsschädlich sein. Sie wiesen „nach Herstellung und Verwendungszweck enge Berührungspunkte“ auf und immerhin habe in dem zu entscheidenden Fall die Inhaberin des Gemeinschaftsgeschmacksmusters selbst Spielwaren hergestellt (OLG Frankfurt am Main v. 18.02.2016 – 6 U 245/14 – Nichtigerklärung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters mangels Eigenart).

    Entgegenhaltungen aus ähnliche Erzeugnisarten

    Ob ein Design oder ein Geschmacksmuster bei der Anmeldung neu waren und Eigenart hatten, erweist sich erst vor Gericht (in einer Nichtigkeitswiderklage) oder in einem Nichtigkeitsverfahren vor dem Amt (EUIPO oder DPMA). In einem Urteil vom 18.02.2016 nahm das OLG Frankfurt am Main (OLG Frankfurt, Urteil vom 18.02.2016 - 6 U 245/16 - Nichtigerklärung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters mangels Eigenart) zu einem von der Rechtsprechung weitgehend ungeklärten Frage Stellung: Inwieweit kann einem Gemeinschaftsgeschmacksmuster auch ein bereits existierendes (offenbartes) Design als vorbekannt entgegengehalten werden, das einer anderen Erzeugnisart entstammt?

     

    Geklagt hatte der Inhaber des abgebildeten Gemeinschaftsgeschmacksmusters. Die Angabe des Erzeugnisses in der Geschmacksmusteranmeldung lautete: „Chips für Einkaufswagen“. Die Beklagte vertrieb einen Einkaufswagenchip aus Holz. Auf die Klage wegen Verletzung des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters reagierte die Beklagte mit einer Nichtigkeitswiderklage. Sie meinte, das Gemeinschaftsgeschmacksmuster sei nicht schutzfähig. Es sei bei der Anmeldung weder neu gewesen, noch habe es Eigenart gehabt, wie es Art. 4 der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung voraussetze. Chips für Einkaufswägen seien längst vorbekannt. Auch aus Holz habe es längst Chips gegeben, nämlich dreischichtig aufgebaute Spielplättchen und Spielsteine. Die Frage war daher: Können einem Gemeinschaftsgeschmacksmuster auch Produkte einer anderen Erzeugnisart (hier: Spielsteine bzw. Spielplättchen) entgegengehalten werden?

    Die Angabe des Erzeugnisses in der Anmeldung des Gemeinschaftsgeschmacksmusters lautete „Chips für Einkaufswagen“ (Locarno-Klassifikation 08.07).

    Ob und wie weit einem Gemeinschaftsgeschmacksmuster (oder einem deutschen eingetragenen Design) auch Erzeugnisse einer anderen Erzeugnisart als neuheitsschädlich entgegengehalten werden können, wurde bisher von der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht geklärt. Das OLG Frankfurt meint jedenfalls, Spielplättchen und Spielsteine könnten Einkaufschips entgegengehalten werden. Sie wiesen „nach Herstellung und Verwendungszweck enge Berührungspunkte“ auf und immerhin habe in dem zu entscheidenden Fall die Inhaberin des Gemeinschaftsgeschmacksmusters selbst Spielwaren hergestellt. Das OLG Frankfurt hatte daher das oben dargestellte Gemeinschaftsgeschmacksmuster für Einkaufschips wegen bereits bekannter runden hölzernen Spielplättchen für nichtig erklärt.

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    "Offenbarung" nach Art. 7 GGV bzw. § 5 DesignG

    "Offenbart" nach Art. 7 GGV bzw. § 5 DesignG ist ein Geschmacksmuster oder Design, wenn es die in der Gemeinschaft tätigen Fachkreise wahrnehmen konnten, etwa wenn es auf einer Messe ausgestellt, in einem Katalog abgebildet oder in der Werbung verwendet wurde. "Offenbart“ heißt also: bekannt gemacht, ausgestellt, verwendet oder sonst veröffentlicht und zwar weltweit. Auch eigene Veröffentlichungen können daher einer späteren Anmeldung des gleichen Musters schaden, weil dann das Muster im Anmeldezeitpunkt nicht mehr neu ist. Auch die Bekanntmachung eines eingetragenes Design im deutschen Geschmacksmusterblatt lässt ein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster entstehen.

    Tipp: Erste Veröffentlichungen eines Musters/Designs, auch unter dem Schutz einer Vertraulichkeitsvereinbarung, sollten wohlüberlegt sein. Denn auch der Verstoß gegen eine Vertraulichkeitsvereinbarung kann dennoch eine Offenbarung zur Folge haben (BGH GRUR 1993, 466 - Reprint-Versendung).

    Ausnahme 1: Neuheitsschonfrist nach § 6 DesignG bzw. Art 7 II GGV

    Wird ein Muster innerhalb von 12 Monaten nach einer von dem Entwerfer veranlassten ersten Offenbarung von dem Entwerfer oder mit dessen Zustimmung angemeldet, schadet dies der Neuheit nicht (sog. "Neuheitsschonfrist", § 6 DesignG; Art. 7 II GGV). Der Entwerfer kann so sein Geschmacksmuster am Markt testen, bevor er sich entscheidet, Kosten für die Anmeldung des Designs oder Geschmacksmusters in die Hand zu nehmen. Bestimmte Vorveröffentlichungen schaden also der Neuheit eines Geschmacksmusters oder eines Designs nicht. Eine zwölfmonatige Neuheitsschonfrist wie bei dem eingetragenen Geschmacksmuster/Design gibt es beim nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmackmuster naturgemäß nicht.

    Teil eines Erzeugnisses und Neuheitsschonfrist

    Probleme tauchen auf, wenn das Design nicht alleine, sondern nur als Bestandteil eines Gesamterzeugnisses vorveröffentlicht wurde. Gilt dann die Neuheitsschonfrist auch dann, wenn ein ganzes Erzeugnis (Schuh) vorveröffentlicht wurde, aber nur ein Element hieraus (Schuhsohle) angemeldet wurde?

    Das Beispiel BGH, Beschluss vom 23.02. 2012 – I ZR 68/11 - Milla: Gilt die Neuheitsschonfrist für eine als Geschmacksmuster geschützte Schuhsohle auch dann, wenn diese nur als ganzer Schuh vorveröffentlicht wurde? Der Fall : Die Klägerin war Inhaberin des folgenden Geschmacksmusters (heute: eingetragenes Design) für Schuhsohlen:

    Das Geschmacksmuster wurde am 23.4.2007 angemeldet. Die Beklagte bot später den folgenden Sabot an:

    Die Verfügungsbeklagte verteidigte sich mit der Vorlage der folgenden älteren Registereintragungen für ganze Schuhe:

    Diese Geschmacksmuster waren bereits am 12.9.2006 von der Klägerin angemeldet worden. Die Beklagte meinte daher, das am 23.4.2007 eingetragene Klagegeschmacksmuster für eine Schuhsohle sei zum Anmeldezeitpunkt nicht mehr neu gewesen. Denn die Schuhsohle sei mit den zuvor von der Klägerin angemeldeten ganzen Schuhen bereits bekannt gewesen. Diese Vorbekanntheit konnte der Klägerin nur dann nicht schaden, wenn für diese ganzen Schuhe die zwölfmonatige Neuheitsschonfrist galt. Danach schadet ein bereits bekanntes Muster der Neuheit nicht, wenn dieses während der zwölf Monate vor dem Anmeldetag durch den Entwerfer oder eines von diesem informierten Dritten veröffentlicht wurde.

    Die Frage war also: Gilt die Neuheitsschonfrist auch dann, wenn das Muster nicht alleine (hier: Schuhsohle), sondern nur als Teil eines Gesamterzeugnisses (hier: ein ganzer Schuh) veröffentlicht wurde?

    Der BGH hat die Frage bejaht: Ein Muster im geschmackmusterrechtlichen Sinn ist nach dem Gesetz (jetzt: § 6 Design) auch ein Teil eines Erzeugnisses. Dann ist es konsequent, die Neuheitsschonfrist auch auf diejenigen vorveröffentlichten Erzeugnisse zu erstrecken, die erkennbar das Muster als Teil enthielten.

    Ausnahme 2: „Fachkreise“ konnten das Muster nicht kennen - BGH "Gartenpavillon"

    Ein offenbartes Muster ist auch dann nicht neu, wenn es die „in der Gemeinschaft tätigen Fachkreise“ in dem betreffenden Wirtschaftszweig das vergleichbare ältere Muster, im normalen Geschäftsverlauf nicht kennen konnten: Dass die Fachkreise von dem Geschmacksmuster auch tatsächlich erfahren haben, ist nicht erforderlich. Eine Veröffentlichung eines Designs im Ausstellungsraum einer chinesischen Provinzgroßstadt muss daher dem Schutz eines vergleichbaren jüngeren Designs nicht schaden, wenn eine solche Veröffentlichung den in der Europäischen Union tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf nicht bekannt sein konnte (vgl. EuGH v. 13.02.2014 - C-479/12 - H. Gautzsch Großhandel GmbH & Co. KG gegen Münchener Boulevard Möbel Joseph Duna GmbH; BGH v. 16.08.2012 - I ZR 74/10 – Gartenpavillon, Rz. 21).

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    Eigenart nach § 2 Abs. 3 DesignG bzw. Art. 6 GGV

    Nach Art. 6 Abs. 1 Nr. 2 GGV (entspricht wörtlich § 2 Abs. 3 DesignG) hat ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes, das heißt jedes andere Design hervorruft, welches der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung zugänglich gemacht worden ist.

    Nur Unterscheidbarkeit, keine Eigentümlichkeit

    Eigenart heißt Unterscheidbarkeit von anderen Designs aus dem bekannten Formenschatz. Eigenart hat ein Design/Geschmacksmuster, wenn es einen anderen Gesamteindruck hervorruft als ein älteres Design/Geschmacksmuster. Die Unterscheidbarkeit hängt dabei ab von der Gestaltungsfreiheit des Designers in der jeweiligen Erzeugnisart (z.B. in der  „Handtaschen“).

    Verhältnis Designrecht und Geschmacksmusterrecht zum Urheberrecht

    Eine besondere „Gestaltungshöhe“ ist im Designrecht oder Geschmacksmusterrecht ausdrücklich nicht nötig (BGH Urteil vom 22.04.2010 - I ZR 89/08 - Verlängerte Limousinen) mehr. Es handelt sich damit im Verhältnis zum Urheberrecht und auch zum früheren deutschen Geschmacksmusterrecht um ein grundsätzlich anderes Recht. Das frühere deutsche Geschmacksmusterrecht forderte „Gestaltungshöhe“, also mehr als gestalterisches Durchschnittskönnen. Das ist überholt. Das deutsche eingetragene Design (früher: Geschmacksmuster) ist kein „kleines Urheberrecht“. Das selbe gilt für das eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster und das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Es kommt nur noch auf die „Eigenart“, also die Unterscheidbarkeit von anderen Designs an, nicht aber auf irgendeine Eigentümlichkeit oder Eigenart.

    Der "informierte Benutzer" im Designrecht und Geschmacksmusterrecht

    Die Eigenart beurteilt der "informierte Benutzer"

    Der „informierter Benutzer“ ist im Geschmacksmusterrecht bzw. Designrecht derjenige, der die Eigenart beurteilt (§ 2 III DesignG bzw. Art. 6 Abs. 1 GGV). Der informierte Benutzer gehört der Personengruppe an, die das eingetragene Design bzw. das eingetragene Gemeinschaftsgeschmackmuster oder das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster in der Praxis benutzt und verschiedene Muster/Design nach ihrem Erscheinungsbild zu beurteilen weiß.

    Der informierte Benutzer blendet schutzunfähige technische Merkmale aus

    „Informiert“ ist der Benutzer, wenn er einerseits in rechtlicher Hinsicht Grundkenntnisse der Voraussetzungen der Schutzfähigkeit besitzt - also z. B. technisch bedingte Merkmale bei einem Vergleich ausblendet -, in tatsächlicher Hinsicht Funktion, Wirkungsweise und Anwendungsbereich des jeweiligen Erzeugnisses kennt. Er hat gewisse allgemeine Kenntnisse von dem Formenschatz hat und schließlich in Bezug auf Urteilsvermögen, Bildung Intellekt, Stil und Geschmack zumindest durchschnittliche Fähigkeiten.

    Informierter Benutzer kann auch ein fünfjähriges Kind sein

    Der informierte Benutzer ist damit zwischen dem Durchschnittsverbraucher ("angesprochene Verkehrskreise") und dem Fachmann anzusiedeln (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 27.03.2008 – 6 U 77/07), BeckRS 2008, 23619). Der informierte Benutzer kann aber auch ein 5- bis 10-jähriges Kind sein oder der Marketingleiter eines Unternehmens (EuG GRUR-RR 2010, 189 - Pepsi „rapper“).

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    Geschmacksmusterverletzung abhängig vom Schutzumfang

    Schutz gegenüber allen Mustern, die keinen anderen Gesamteindruck hinterlassen

    Der Schutzumfang eines (europäischen) eingetragenen Gemeinschaftsgeschmackmuster, eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters und (deutschen) eingetragenen Designs bestimmt, ob ein Geschmacksmuster oder Design verletzt wird. Je größer der Schutzumfang, desto eher wird ein Design oder Gechmacksmuster verletzt. Der Schutzumfang eines Designs oder Geschmacksmusters umfasst nicht nur identische Geschmacksmuster oder Designs. Vom Schutzumfang umfasst ist vielmehr auch jedes ähnliche Muster bzw. Design, das beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck erweckt. Hier gibt es eine Wechselwirkung von Gestaltungsfreiheit und Musterdichte in der relevanten Erzeugnisklasse auf der einen Seite und der Unterscheidbarkeit auf der anderen Seite: Je höher die Musterdichte, desto weniger muss sich das Geschmacksmuster bzw. Design von anderen unterscheiden.

    Eigenart und Gestaltungsfreiheit

    Nach Art. 6 Absatz II GGV und § 2 III DesignG wird bei der Beurteilung der Eigenart der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers berücksichtigt, die ihm bei der Entwicklung des Geschmacksmusters oder Designs zur Verfügung steht. Ob ein Muster Eigenart hat, beurteilt sich nach dem DesignG und der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung (GGV) nicht mehr abstrakt, sondern immer anhand eines jeden konkreten einzelnen vorbekannten Geschmacksmusters. Es wird also nicht etwa eine fiktive abstrakte Eigenart des gesamten vorbekannten Formenschatzes konstruiert, mit dem das Muster verglichen wird, sondern es gilt ein Einzelvergleich (BGH v. 19.5.2010 – I ZR 71/08 – Untersetzer, Rz. 14). Verglichen wird also immer das Geschmacksmuster mit ganz konkreten älteren Mustern, nicht aber mit einer Summe von Merkmalen, die aus älteren Mustern bekannt sind (EuGH v. 19.06.2014, C-345/13 – Karen Millen Fashions gegen Dunnes Stores).

    Die Eigenart ist damit zwar Schutzvoraussetzung. Auf den Schutzumfang eines Geschmacksmusters hat sie aber keinen Einfluss (BGH Untersetzer a.a.O.).

    Die Gestaltungsfreiheit wiederum ist abhängig von der Musterdichte in der betreffenden Erzeugnisklasse. Musterdichte bedeutet: Wieviele Designs gibt es in der Erzeugnisklasse? Es gibt also eine Wechselwirkung: Je höher die Musterdichte, desto weniger muss das Design von anderen Designs unterscheidbar sein.

    Schutzumfang und Musterdichte

    Die Musterdichte bestimmt den Schutzumfang eines Designs bzw. Geschmacksmusters. Eine geringe Musterdichte führt zu einem großen Schutzumfang eines Designs bzw. Geschmacksmusters. Umgekehrt führt eine hohe Musterdichte zu einem kleine Schutzumfang. Bei der Bestimmung des Schutzumfangs nach Art. 10 II GGV – ebenso wie bei der Bestimmung der Eigenart nach Art. 6 II GGV – ist der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung seines Geschmacksmusters zu berücksichtigen. Dabei besteht zwischen dem Gestaltungsspielraum des Entwerfers und dem Schutzumfang des Musters eine Wechselwirkung: Eine hohe Musterdichte und damit ein kleiner Gestaltungsspielraum des Entwerfers führt zu einem engen Schutzumfang des Musters Dagegen führt eine geringe Musterdichte und damit ein großer Gestaltungsspielraum des Entwerfers zu einem weiten Schutzumfang des Musters (BGH, Urteil vom 19. 5. 2010 - I ZR 71/08 - Untersetzer). Die Folge: Auch größere Abweichungen werden noch von dem Schutzumfang erfasst, sind also Verletzungen des Designs bzw. Geschmacksmusters. Umgekehrt führt eine große Musterdichte zu einem geringen Schutzumfang, so dass schon geringe Veränderungen zu einem anderen Gesamteindruck führen.

    Schutzumfang und Ausnutzung des Gestaltungsspielraums des Designers

    Der Schutzumfang wird außerdem auch dadurch beeinflusst, inwieweit der Gestalter/Designer den Abstand zum Formenschatz (d.h. zu bereits existierenden Mustern) eingehalten hat (BGH Kinderwagen II).

    Zum Schutzumfang bei identischen Grundmustern, die sich aber in den Farben unterscheiden

    Eine andere Farbe kann an sich zu einem anderen Gesamteindruck führen. Wenn sich zwei Muster aber lediglich in der Farbe unterscheiden, wird dieser Unterschied von der Rechtsprechung meistens untergewichtet (sog. „Farbverschiebung“, vgl. OLG Düsseldorf v. 21.12.2010 – 20 U 144/10 – Rankenmuster). Andere Farben führen hingegen dann zu einem anderen Gesamteindruck, wenn helle und dunkle Elemente vertauscht werden (vgl. OLG Frankfurt v. 12.05.2015 – 11 U 104/14 – Schutzbereich eines farbigen Stoffmusters). Das EUIPO verneint regelmäßig allerdings oft einen anderen Gesamteindruck, wenn bloß die Farbe abweicht (z.B. HABM v. 26.2.2009, HABM-BK R 1942/2007-3 – Fernbedienung). Auch die Rechtsprechung hält Farbabweichungen nur dann für beachtlich, wenn es sich um eine ungewöhnliche Farbgestaltung handelt (z.B. LG Düsseldorf v. 13.08.2015 - 14c O 98/13 - Zentrierstifte). Das wird bei einfarbigen Mustern kaum je der Fall sein.

    Kurz gesagt: Eine bloße Veränderung der Farbe führen nur dann zu einem anderen Gesamteindruck, wenn dadurch die Formen des Musters verändert werden. Das EUIPO verneint regelmäßig einen anderen Gesamteindruck, wenn bloß die Farbe abweicht (z.B. HABM v. 26.2.2009, HABM-BK R 1942/2007-3 – Fernbedienung).

     

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    "Technizität" - Kein Geschmacksmusterschutz für technisch bedingte Merkmale

    Ist die Gestaltung technisch bedingt...

    Nach Art. 8 I GGV und § 3 I Nr. 1 DesignG ist ein Geschmacksmusterschutz an solchen Erscheinungsmerkmalen ausgeschlossen, die ausschließlich durch deren technische Funktion bedingt sind. Diesen Schutzausschließungsgrund nennt man "Technizität". Damit ein Geschmacksmuster oder Design überhaupt schutzfähig ist, ist also eine gestalterische Leistung nötig.

    ... oder hat das Geschmacksmuster einen "gestalterischen Überschuss"?

    Der EuGH hat in der „Zentrierstifte-Entscheidung“ (EuGH GRUR 2018, 612 – DOCERAM/Ceram) klargestellt, dass es hierbei nicht darauf ankommt, ob dieselbe technische Funktion auch mit alternativen Gestaltungen erreichbar wäre. Denn sonst käme ein geschmacksmusterrechtlicher Schutz in diesen Fällen einem Patentschutz gleich. Ausgeschlossen vom Geschmacksmusterschutz sind nach der Rechtsprechung des EuGH daher alle Gestaltungen, bei denen nach den objektiv maßgeblichen Umständen andere Erwägungen als die Erfüllung der technischen Funktion keine Rolle spielen. Eine schutzausschließende technische Bedingtheit liegt also dann vor, wenn die (technische) Funktionalität der einzige das Geschmacksmuster bestimmende Faktor ist. Dass es daneben möglicherweise noch andere Formen gibt (sog. „gangbare Designalternativen“), mit denen sich dieselbe technische Wirkung erzeugen ließe, ist irrelevant (EuGH GRUR 2018, 612 – DOCERAM/Ceram; ebenso: 3. Beschwerdekammer der Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt (HABM) vom 22.10.2009 (R 690/2007-3 – Häcksler). Ob das Erscheinungsmerkmal eines Erzeugnisses ausschließlich technisch bedingt ist, bestimmt sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch nach den Erwägungen die sich aus Ansprüchen, Beschreibungen und Zeichnungen einer Patentoffenlegungsschrift ergeben (BGH v. 7.10.2020, I ZR 137/19 – Papierspender). Ästhetische Erwägungen sind für die schutzausschließenden technisch bedingten Merkmale irrelevant (BGH v. 9.3.2023 - I ZR 167/21 - Tellerschleifgerät).

    Technische Funktion als Schutzauschließungsgrund muss für jedes Merkmal einzeln geprüft werden

    Ästhetische Alternativüberlegungen spielen hierfür keine Rolle. In einem vom BGH entschiedenen Fall (BGH v. 9.3.2023 - I ZR 167/21 - Tellerschleifgerät) ging es um das abgebildete Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Es stellt ein Tellerschleifgerät dar. Der klagende Gescmacksmusterinhaberin wehrte sich gegen das Angebot des folgenden Tellerschleifgeräts:

     

    Die klagende Geschmacksmusterinhaberin wehrte sich gegen das Angebot des folgenden Tellerschleifgeräts:

    Die Klägerin nannte folgende prägende Merkmale ihres Gemeinschaftsgeschmacksmusters:

    1. Aufbau, bestehend aus einem Motorgehäuse und einem kontrastierend abgesetzten, in dasGerät integrierten Gerätefuß;
    2. der obere Teil des Motorgehäuses sitze auf dem Gerätefuß auf und umrahme zugleich den sichtbaren oberen Teil des Schleiftellers, dessen untere Hälfte im Gerätefuß eingelassen sei;
    3. in den Gerätefuß sei eine kontrastierend abgesetzte Schleiftischhalterung integriert;
    4. mit der Schleiftischhalterung sei ein variabel verstellbarer Schleiftisch verbunden;
    5. der Schleiftisch werde durch eine beidseitig vorhandene, halbmondförmige Führung gehalten, die mit einem Langloch versehen sei und in eine die Form der Führung nachahmende Vertiefung im Gerätefuß weitergeführt werde;
    6. auf einer Seite des Gehäuses - etwa in Höhe des Schleiftischs - finde sich ein kontrastierend abgesetzter Knopf;
    7. der harmonische Gesamteindruck werde verstärkt durch die klaren Proportionen des Klagemusters, wobei sich das Gerätegehäuse auf etwa 2/3, der waagrechte Schleiftisch auf etwa 1/3 der Gesamtlänge erstreckten.

    Die Vorinstanz, das OLG Frankfurt als Berufungsgericht, hatte noch angenommen, das Gemeinschaftsgeschmacksmuster werde durch das Anbieten des oben abgebildeten Verletzungsmuster verletzt. Alle sieben prägenden Merkmale seien von dem Verletzungsmuster übernommen worden. Keines der Merkmale sei ausschließlich technisch bedingt. Es hätten vielmehr auch „ästhetische“ Gesichtspunkte eine Rolle gespielt. Nicht technisch bedingt seien u.a. die Größenverhältnisse der einzelnen Bauelemente zueinander sowie ob und wie diese durch Gehäuse verkleidet würden. Dies gelte auch für die Anordnung von Bedienelementen und die farbliche Gestaltung. Diese Gestaltungselemente folgten ersichtlich nicht rein funktionalen Erwägungen, sondern dienten einem „harmonischen Gesamteindruck“ und wirkten „ästhetisch“. Ansprechend wirke hierbei auch die halbkreisförmige Führungseinrichtung für den beweglichen Schleiftisch, die letztlich die Formensprache des Schleiftellers aufgreife.

    „Harmonischer Gesamteindruck“ keine objektivierbare Merkmalbeschreibung

    Der BGH monierte hieran, dass die Charakterisierung von Merkmalen als einem „harmonischen Gesamteindruck dienend“ unzureichend ist. Denn eine solche Beschreibung sagt nichts darüber aus, ob dieser Eindruck durch nicht ausschließlich technisch bedingte Merkmale entsteht. Das aber hätte das Berufungsgericht prüfen müssen. Es hätte außerdem prüfen müssen, welche Bedeutung den Merkmalen für den Gesamteindruck zukommt. Der BGH hielt es für möglich, dass der Schutzumfang des klägerischen Gemeinschaftsgeschmacksmusters enger gezogen werden müsse, weil Merkmale ausschließlich technisch bedingt seien.

    „Ästhetik“ für schutzausschließende Technizität irrelevant

    Das Berufungsgericht hatte außerdem für die Prüfung, ob ein ausschließlich technisch bedingtes Merkmal vorliege darauf abgestellt, ob auch ästhetische Erwägungen für die Gestaltung dieses Merkmals eine Rolle gespielt hatten. In diesem Fall sei nicht von einem ausschließlich technisch bedingten Merkmal auszugehen. Auch dem widersprach der BGH: Darauf, ob ein Merkmal aus ästhetischen Gründen gewählt worden sei, komme es nicht an. Denn ästhetische Erwägungen gehörten nicht zu den Schutzvoraussetzungen eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters (BGH v. 9.3.2023 - I ZR 167/21 - Tellerschleifgerät). Der BGH hat den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dieses muss nun die Merkmale erneut daraufhin prüfen, ob diese ausschließlich technisch bedingt sind.

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